„Escort ist ein Spiel mit Identitäten.“ 

Salomé Balthus leitet die Escort – Agentur Hetaera und ist dort selbst als Sexarbeiterin tätig.

Interview von INNA BARINBERG im FREITAG 12/2017

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Für das Interview schlägt Salomé das Spindler vor. Mittags ist dort immer wenig los, dann haben wir unsere Ruhe. Es schmiegt sich in die Reihe von unauffälligen und dezenten Cafés entlang des Paul-Lincke-Ufers. Den Rahmen für das Interview bildet ein aufmerksames Augenpaar, handbeschriftete Zettel und ein frisch gepresster Grapefruitsaft. Salomé wirkt wachsam, schließlich sind die Themen Escort und Sexarbeit nach wie vor umstritten. Ihre Agentur Hetaera zeichnet sich durch ein solidarisches und kollektiv verwaltetes Konzept aus.

Der Freitag: Frau Balthus, Ihre Escort-Agentur ist bei weitem nicht die einzige in Berlin, ein ausgefallener Name kann dabei helfen im Gedächtnis zu bleiben. Wieso ausgerechnet „Hetaera“?

Der Begriff Hetäre kommt aus der Antike und spielt auf eine Epoche an, in der unsere Tätigkeit Achtung fand. In der klassischen Antike unterteilte sich das Milieu der Prostituierten in mehrere Kategorien. Es gab zum einen Straßenmädchen und Bordell Prostituierte, die Sklavinnen waren. Und dann gab es die Hetären, die sich frei gekauft hatten und selbstständig waren. Im Gegensatz zu anderen genossen sie mehr Freiheiten und konnten sich frei in der Öffentlichkeit bewegen.

Und wie unterscheidet sich Hetaera konkret von anderen Agenturen? 

Die meisten Agenturen verlangen eine Provision von 30%, obwohl sie vielleicht nur einen Anruf entgegen genommen haben – dabei sind es die Frauen, die die Leistung erbringen. Wenn eine ganze Nacht 3000€ kostet, verdient die Agentur daran 1000€. Wofür eigentlich? Ich finde es besser, die Kosten für die Website und Organisatorisches zu teilen, alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam zu treffen und keine Provision zu verlangen. Es ist mir sehr wichtig, dass wir auf einer Augenhöhe agieren, schließlich arbeite ich genau so als Escort wie die anderen. Wir sind Kolleginnen, wir machen das gemeinsam. Ich bin wie der Typ in dem besetzten Haus der halt den Abwasch macht, obwohl ihm das Geschirr nicht gehört. Irgendjemand muss sich immer um den Abwasch kümmern. Schließlich macht es auch mehr Spaß, Kolleginnen zu haben. Griselidis Real hat gesagt, eine gute Hure muss durch und durch revolutionär sein. Und was muss ein Revolutionär, nach dem alten Lenin-Wort? Die Verhältnisse kennen – alles kennen. 

Gibt es denn bestimmte Voraussetzungen für eine Bewerbung? Ihre Kolleginnen entsprechen in meinen Augen schon einem sehr bestimmten Bild von Schönheit.


Ich kenne Agenturen, die ein eine bestimmte Körpergröße oder ein Höchstgewicht verlangen, da sind wir anders. Es geht in erster Linie darum, dass die Frauen ein eigener Typ sind. Ich treffe mich mit jeder Frau einzeln und dann lerne ich sie kennen. Sie dürfen nicht ängstlich wirken oder eingeschüchtert, sondern stark und frei. Wir unterscheiden uns von anderen Agenturen, weil wir Frauen annehmen, die Individualistinnen sind. Frauen, für die das nicht ein heimlicher Nebenjob ist, sondern ein Lebensstil. Sie bringen eine gewissen Stärke gegenüber den Kunden mit, weil es für sie auch etwas ist worüber sie sich identifizieren. Es gibt so viele verschiedene schöne Frauen, solange sie sich wohl fühlen mit sich selbst, spielt das Gewicht keine Rolle.

Das hört sich so an, als würde man für einen Abend in eine andere Welt eintauchen. Das erinnert mich an eine Performance im Theater. Lässt sich das vergleichen?


Auf jeden Fall. Wenn der Kunde sich die Website ansieht, dann erlebt er den Wunsch einem Wesen aus einer anderen Welt zu begegnen. Meistens fängt man auf diese Weise an und öffnet sich dann mehr und mehr. Es ist nicht so, dass man dem Mann komplett was vorspielt, es ist eine Art Spiel mit Identitäten, fast ein bisschen so wie Karneval. Es ist der Spaß am Spiel, das schauspielerischer, aber ohne den Zwang das wirklich durchzuziehen.

Fällt es manchmal schwer in der Rolle zu bleiben? 

Ja, natürlich. Es ist ja auch für mich ein Vergnügen, ich habe viel Spaß an dieser Tätigkeit. Zumal es immer wieder lustige Situationen gibt. Einmal hatte ich zum Beispiel einen Kunden, der vor Aufregung einen Schluckauf bekam und ihn nicht mehr los wurde. Jedes mal wenn ich angefangen habe ihn anzufassen, ging es wieder los. Am Ende haben wir die ganze Zeit lachend auf dem Bett verbracht.

Das klingt nach einem Abend, der nicht zwangsläufig auf Sex hinaus läuft oder sich darauf beschränkt. Ist Escort trotzdem eine Form von Sexarbeit?


Die Tätigkeiten, die vom Staat unter dem Namen Prostitution zusammen gefasst wurden, sind sehr verschieden. Die Arbeit einer Domina ist völlig anders als die von einer Frau im Bordell. Wenn der Staat sagt, ich bin Prostituiere, genau wie die Frauen auf dem Straßenstrich, dann ist das keine Interpretation mit Rücksicht auf meine individuelle Befindlichkeit, sondern ein machtpolitisches Faktum. Aber genau das vereinigt uns Prostituierte über alle sozialen Unterschiede hinweg und fordert unsere Solidarität. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen!

Würden Sie den Begriff Prostitution dennoch unterstützen? 

Wenn die Gesellschaft sagt, dass ich eine Prostituierte bin und die anderen werden diskriminiert, dann sage ich natürlich, dass ich Prostituierte bin. Ich würde auch sagen, ich wäre Jüdin, wenn ich merke Juden werden diskriminiert und mir wird unterstellt ich sei Jüdin. Das ist eine Frage der Haltung. Falsch und geradezu ein Unwort finde ich aber den Begriff „Zwangsprostituierte“. Frauen, die zum Sex genötigt werden sind keine Prostituierten. Frauen die zum Sex genötigt werden, werden vergewaltigt. Es ist eine Unverschämtheit diese Frauen auch noch Prosituierte zu nennen. Zwangsprostitution ist ein schrecklicher Euphemismus, der dazu führt, dass diese Frauen sich noch mehr schämen und zögern sich Hilfe zu holen.

Ab dem 01. Juli 2017 müssen sich Prostituierte unter anderem persönlich in einer Datenbank registrieren lassen. Bietet das neue Gesetz mehr Sicherheit?


Ein Escort kann nie absolute Sicherheit haben, so wenig wie ein Taxifahrer absolute Sicherheit haben kann, wenn er nachts allein auf der Straße mit dem Taxi unterwegs ist. Es ist verständlich, dass ein Gewerbe Regeln haben muss, aber es gibt eben auch Regeln, die so absurd sind, dass sie einer Unmöglichmachung gleichen. Ich denke viele Sexarbeiter haben Angst, weil die Ausführungsbestimmungen bei dem Gesetz so unsicher sind. Im Gesetz steht, dass eine besondere Vorsicht zu wahren ist mit den Daten, dass sie diskret zu behandeln sind, aber es ist völlig unklar wie das geschehen soll. Ich finde es richtig, dass es beispielsweise denjenigen an den Kragen geht, die Sex ohne Kondom offiziell als Dienstleistung anbieten. Ich finde es auch richtig, dass Frauen das Recht haben Honorar einzuklagen. Es gibt auch Vorteile. Immerhin ist es so, dass die Tätigkeit nicht verboten wird.

Kann man sich aus dieser Datenbank wieder löschen lassen? 

Das ist im Zeitalter von Big Data sehr fraglich. Wirklich sicher sind nur Daten, die gar nicht erhoben werden. Da kommen vielen Dinge auf uns zu, die wir nicht abschätzen können. Der Nutzen einer solchen Erhebung ist fraglich, der drohende Schaden hingegen wahrscheinlich.

Sie sagten gerade, dass die Tätigkeit immerhin nicht verboten wird. Einige Feministinnen, die bekannteste ist Alice Schwarzer, plädieren für ein eine Abschaffung von Prostitution. Was würden Sie dem entgegnen?


Dass die Öffentlichkeit darüber streitet, was eine Frau tun darf, bin ich gewohnt – nicht nur als Hure, sondern als Frau. Margarete Stokowski schreibt in ihrem bemerkenswerten Buch Untenrum frei, dass Schön-sein Arbeit ist, die von Frauen einfach erwartet wird. Dabei kostet es viel Zeit und Geld. Da kann man sich als emanzipierte Frau entweder von diesen vielseitigen Zwängen frei machen, was eine coole Haltung ist. Oder man sagt, ich erfülle die Erwartungen an euer Ideal, aber dafür müsst ihr zahlen. Der rhetorische Aufhänger von Schwarzer ist ja, dass wir eine bloße Ware seien, was mit der Menschenwürde kollidiere. Doch ich bin nicht die Ware, sondern ich erbringe eine Dienstleitung. Es ist der Unterschied zwischen Ware und Produktionsinstrument. Schwarzer fehlen die Denkmittel der marxistischen Dialektik. Die Frage ist, ob Frauen die anderen Frauen sagen was sie mit ihrem Körper machen sollen, sich Feministinnen nennen dürfen. Man kann Menschen nicht davon abhalten ein besseres Leben zu wählen. Ich halte für möglich, dass die Debatte um das „Bordell Europas“ eine verschobene Ausländerdebatte ist.

Sie sprechen fast durchgehend von Kunden. Die Emanzipation von Frauen ist inzwischen fortgeschrittener als vor 50 Jahren. Gibt es also auch Kundinnen? 

Ich fände es toll, wenn wir mehr weibliche Kunden hätten. Aber es ist sehr selten.

Warum? 

Frauen sind es gewohnt, ausgewählt zu werden, statt selbst zu wählen. Die Frage, ob die Escort sich nur des Geldes wegen oder auch aus Neigung hingibt taucht bei Männern selten auf. Bei Frauen ist es das einzige, was sie interessiert. Außerdem ist der Einkommensunterschied von Männern und Frauen in dem Bereich sehr stark. Es gibt mehr gut verdienende Männer als Frauen.

Wie gehen Sie mit Ihrer Tätigkeit privat um? 

Ich erzähle es meinen engsten Freunden. Auch ich habe das Bedürfnis, für das gemocht zu werden was ich bin. Manchmal bin ich überrascht, wenn ich es Menschen erzähle, die ich lange kenne und letztlich merke, dass es zu viel für sie war. Jeder Mensch hat seine moralischen Grenzen. Das ist dann natürlich enttäuschend, aber ich würde es nicht rückgängig machen wollen. Ich wünsche mir eine große gesellschaftliche Debatte. Sexarbeiterinnen sollten als denkende Menschen ernst genommen werden.

 

1997 veröffentliche Carol Leigh, eine Aktivist für die Rechte von Prostituierten, den Essay Inventing Sex Work. Dort führt sie zum ersten Mal den Begriff der Sexarbeit ein, der das Tätigkeitsfeld wertneutral hervorheben soll. Exakte Zahlen gibt es nicht, denn viele wollen sich nicht als Sexarbeiter*innen outen. Auch ist es unklar, was zu dem Tätigkeitsfeld der Sexarbeit zählt. Unklarheiten bestehen unter anderem bei Sexualassistenz und Sexualbegleitung, aber auch Escort zählt dazu. Schätzungen von Hydra e.V. aus dem Jahr 1980 gehen von etwa 400.000 weiblichen Prostituierten in Deutschland aus. Eine Prostituierte in Berlin verdient am Tag ca. 240 Euro, dieser Festbetrag ist bundesweit der höchste. Die Organisation TAMPEP schätzt, dass etwa 87% aller Sexarbeitenden in Europa Frauen sind, 7% Männer und 6% transgender.

 

 

Salomé Balthus arbeitet seit 5 Jahren als Escort. Im Oktober 2016 hat sie sich mit ihrer Agentur Hetaera selbstständig gemacht. Sie ist in Berlin geboren, hat an der Humboldt Universität Philosophie und Literatur studiert und mit einem Magister abgeschlossen.

 

Berlin, März 2017

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