Treffen mit einer Provocateurin

Text von Malka Gouzer

 

L´article en français:

https://www.letemps.ch/societe/metoo-potentiel-se-transformer-une-terreur-ridicule

 

 

„Ich habe schon immer gern provoziert.“

Das sagt die, die von ihren Kunden Salomé Balthus genannt wird. Hanna Lakomy, Sie ist Absolventin der Humboldt-Universität und arbeitet seit sieben Jahren als Prostituierte. Ihr Alter verrät sie nicht, aber ich schätze sie auf dreißig Jahre. Zum Interview erscheint sie überraschender Weise ohne eine Spur von Make-up, in dezenter Kleidung.

Im Jahr 2016 gründete Hanna Lakomy Hetaera, ein neues Konzept für Edel-Prostitution. Zu den üblichen Dienstleistungen der Branche zielt das Konzept vor allem auf die Freuden des Geistes. Die Frauen auf der Hetaera-Website sind gebildet, beherrschen die gehobene Konversation, lieben Kunst und schöne Dinge – das ist zumindest die Idee. Der Preis beträgt an die Tausend Euro für zwei Stunden. Das erste Treffen findet immer in einem Szene-Restaurant statt und geht auf Kosten des Kunden in einem Fünf-Sterne-Hotel weiter. Im Protokoll wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Hetaera-Frauen nicht zu sexuellen Dienstleistungen verpflichtet sind, wenn sie nicht wollen. Hanna Lakomy kennt Genf, war gerade erst dort – geschäftlich, selbstverständlich: „War es das Hotel des Bergues oder das Hotel Richemond? Ich weiß es nicht mehr… „

Was es mit mir gemacht hat? Es hat hat mich frei gemacht!

 

Hanna Lakomy schreibt, neben dem, was sie ihren Job nennt, unter anderem für die Zeitung Die Welt. Sie arbeitet an ihrem ersten Buch. Als Feindin der abolitionistischen Feministinnen, die sich für das Prostitutionsverbot einsetzen, kämpft Hanna Lakomy dafür, dass Frauen das Recht haben, selbst über ihren Körper zu verfügen – mit allen Konsequenzen: „Wenn mir mein Körper gehört, warum sollte ich kein Geld damit verdienen?“

Man möchte schreien: weil es dir wehtut, weil es falsch ist, seine Tugend gegen eine Geld einzutauschen. „Wenn du deinen Körper Fremden anbietest, was macht das mit dir?“ –  „Es macht mich frei!“, sagt sie. „Frei von der finanziellen Abhängigkeit von meinen Eltern und dem Staat“, lacht Hanna Lakomy. „Es ist ein Job, der niemandem schadet.“

Lakomy besucht regelmäßig Symposien, die von Prostitutionsgegnern organisiert werden – Organisationen, die merkwürdigerweise, wie sie anmerkt, meist linken politischen Spektrum angehören. „Diese abolitionistischen Organisationen versuchen ständig, uns glauben zu machen, dass wir Opfer sind, dass wir an gar am posttraumatischem Belastungssyndrom leiden, ähnlich wie Kriegsüberlebende. Wenn wir antworten, dass wir unseren Job freiwillig machen, werden wir allen Ernstes als psychisch krank abgestempelt.“ Aber die Wahrheit, sagt Lakomy bestimmt, ist, dass selbst Frauen, die sich selbst unter denkbar unglamourösen Bedingungen wie im Bordell oder auf der Straße prostituieren, dies meist freiwillig tun. Sie treffen eine Wahl. Wenn ein Mensch bevorzugt, lieber ein paar Minuten lang einen Blowjob für 20 Euro zu machen, statt für dieselben 20 Euro den ganzen Tag in der Küche eines McDonalds zu putzen, ist das eine Wahl. Und wir haben es zu respektieren! “ 

Was Hanna mehr als alles andere auf der Welt schätzt, ist die Freiheit. Geboren in der DDR, Tochter des für seine Kompositionen und Lieder bekannten Künstlers Reinhard Lakomy, fürchtet sie manchmal, dass die liberale Gesellschaft, für die auch ihre Eltern gekämpft haben, nach und nach wieder aufgegeben wird. Sie projiziert ihre Befürchtungen auch auf Balthus Träumende Thérèse, die so unschuldig-suggestiv ist, und die Feministinnen nun aus dem Metropolitan Museum in New York verbannen wollen. „Ich wäre nicht überrascht, wenn die nächste auf der Liste Nabokovs Lolita wäre“, sagt sie und schlürft hastig an ihren Grapefruitsaft. „Vielleicht werden wir werden es bald nicht mehr im Buchhandel bekommen.“

#Metoo: ein Luxusphänomen

Was die Reaktionen auf die Weinstein-Affäre angeht, ist Lakomy  gespalten. „Metoo hat das Potenzial, die stärkste emanzipatorische Bewegung seit 1968 zu werden. Aber sie hat auch das Potenzial, sich in einen lächerlichen Terror zu verwandeln.

Frauen verstehen endlich, dass ihr Körper ihnen gehört und dass sie die Bedingungen des Geschlechtsverkehrs aushandeln können – etwas,  das Prostituierte übrigens schon immer getan haben.

Das Problem ist, dass einige dieser Frauen glauben, dass sie auch dafür verantwortlich sind, wie andere Frauen ihr Leben führen, und ihre eigenen Idealvorstellungen anderen aufzwingen wollen. „

Lakomy bewundert Catherine Deneuve, die Frau, die mutig genug war, Belle de Jour zu spielen und jetzt mutig genug ist, gegen den Strom zu schwimmen. „Es ist entscheidend in jeder sexuellen Beziehung, ein bisschen Schmutz und Brutalität zu bewahren und mit dem Machtgefällt zu spielen“, sagt Hanna. Wollen wir, dass sich Männer in passive Teddybären verwandeln, die sich aus Angst davor, Fehler zu machen, nicht mehr trauen Frauen gegenüber auch nur den Mund aufzumachen?“ Lakomys Meinung nach verurteilt Catherine Deneuve die #Metoo-Welle nicht. Was sie verurteilt, sind die puritanischen und konservativen Bewegungen, die versuchen, darauf zu surfen. „Wir können die Männer von heute nicht für das Unrecht von 5.000 Jahren Patriarchat verurteilen.“

Der Hashtag #metoo erreicht ihrer Meinung nach nur einen winzigen und sehr sichtbaren Teil der Gesellschaft. Eine soziale Klasse, in der die Frauen in den meisten Fällen vergleichsweise bessere Möglichkeiten hatten, sich aus missbräuchlichen Situationen zu befreien. „Missbrauch kommt am häufigsten in den unteren Schichten der Gesellschaft vor, bei Frauen, die unbekannt sind und es sich aus existentiellen Gründen nicht leisten können, zu revoltieren. Putzfrauen, oder solche, die in Callcentern arbeiten – diese Frauen im Billiglohn-Sektor, Frauen ohne Gesicht, schreien nicht #metoo.“ Was die anderen angeht, so sind deren Motive nicht immer eindeutig.

Und wenn das Schreien von, #metoo bewusst oder unbewusst, zu einer Möglichkeit geworden wäre, die Macht durch Viktimisierung zu erhöhen?

6 Kommentare

  1. Micheal

    Mir ist sehr wohl bewusst was männliche sexuelle Gewalt bedeutet.
    Ich weiß ebenso gut was männliche körperliche Gewalt für eine massive Bedrohung sein kann.
    Mir scheint es als wollen die Fanatisten der MeToo-Welle sich in Sicherheit räkeln ohne dafür auch kämpfen zu müssen.

    Warum agieren denn einige wenige Männer so?
    Weil sie trotz allem Erfolg damit haben.
    Weil Eltern ihre Töchter nicht zur Selbstbestimmung/Selbstverteidigung erzogen haben.

    Was sollte man denn machen wenn der alte Sack einen an die Wäsche will?
    Man sagt nein.

    Was sollte man machen wenn er einen versucht zu erpressen und/oder das nein ignoriert?
    Man scheuert ihm eine und verlässt fluchend sein Büro und beschwert sich bei den Vorgesetzten über den notgeilen Bock.

    Kann man so Gefahr laufen den Job nicht zu bekommen.
    Ganz bestimmt.

    Kann man dafür weitere Schwierigkeiten bekommen.
    Wohl möglich.

    Kann man eins auf die Nase bekommen?
    Ab und an passiert das dann wohl auch.

    Wird er das bei einer solchen regelmäßigen Abfuhr weiter führen.
    Sehr unwahrscheinlich.

    Was hat man selbst von dem ganzen Theater?
    Selbstwert.(unbezahlbar)
    Vielleicht eine blutige aber stolz erhobene Nase.(unbezahlbar)
    Man schützt damit auch die Nachfolgenden.(unbezahlbar)

    Diejenigen die es dann bewusst zulassen weil der Deal für sie Ok ist sind frei in ihrer Entscheidung.
    Die werden dann vielleicht auch endlich mal offen und freundlich danach gefragt.

  2. Marion Hoffmann

    Liebe Klara-Johanna Lakomy,

    danke für den ehrlichen, starken Artikel in der aktuellen „Philosophie“. Respekt, vor dem was Sie tun, wie Sie es tun und dazu stehen. Und recht haben Sie damit. Ich könnte jeden Satz unterschreiben.
    Übrigens: Mit dem „Traumzauberbaum“ sind meine Töchter groß geworden. Die Schallplatte lief oft rauf und runter. „Lackie“ hat damit für die musikalische Umrahmung eines jeden unserer Kindergeburtstage gesorgt.

  3. Jürgen Mügge

    metoo ist sicherlich wichtig. Aber „Empört Euch“ kann nicht die Antwort sein.
    Diese muss wie immer lauten: „emanzipiert Euch“!
    endlich…

  4. Harald Fimmel

    Mich ärgern bei solchen Themen, dass Entscheidungen einzelner immer als Verallgemeineungen für alle gedeutet werden. Wenn ein Frau eine Hure sein möchte, soll sie es doch tun. Da muss ich sogar als Mann nicht dazu äußern, ich muss das auich nicht bewerten. ähnlich ist das auch mit Abtreibungen, selbst bei Pazifismus möchte ich niemanden überreden, ebenfalls ein Pazifist zu werden, der ich doch gern sein möchte. Es mag schon sein, dass sogar Situationen eintreten, wo ich ich es nicht schaffe ein Pazifist zu sein, aber ich hoffe das nicht.
    ch kann mir auch nicht vorstellen, für Sex Geld zu bezahlen, aber das ist meine Sache, wär übrigens nicht immer so. Dahin entwickelt man sich 🙂 Ich würde auch von keiner Frau Geld annehmen für Sex.

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