Eine Prostituierte nach dem Date, allein im Hotelflur

 

 

Die Zimmertür schließt sich hinter mir. Ich stehe allein im langen Flur des eleganten Hotels, es ist Nacht, alle Gäste schlafen hinter ihren gleichförmigen Hotelzimmertüren. Hier und da ein Do-not-disturb-Schild, oder ein vor die Tür gestelltes Tablett mit den Hinterlassenschaften des Roomservice. Niemand sieht mich – nur die Kameras.

Ein letzter Blick in meine Tasche, wie immer nach dem Date – habe ich die 3 H´s? Handy, Hausschlüssel, Honorar? Ja, der Umschlag mit den schlanken großen Scheinen steckt sicher in seinem Versteck im Innenfutter. Der edle Spender hat mir eben noch einen Kuss auf die Wange gegeben, als ich mich im Bett über ihn beugte und mich verabschiedete: ein selig Erschossener, im postkoitalen Koma.

Mein Handy – ist da. Ein paar Nachrichten und Anrufe während der letzten Stunden. Die meisten Nummern sind mir unbekannt, es waren wohl Menschen, die meinen Kontakt auf der Website meines Escortservice Hetaera im Internet gefunden haben.

Der Hausschlüssel zu meiner Wohnung – wie immer ganz unten. Mein eigenes Bett wartet auf mich, das Bett, in dem ich noch nie Sex hatte und eigentlich auch keinen haben will. Aber ich habe noch keine Lust, dort anzukommen. Ich fühle mich gut hier, ich will mein Abenteuer gerne noch ein bisschen genießen, in der delikat parfümierten Luft der Aircondition, umgeben vom Luxus dieses schönen Hotels, in dem ich mir selbst kein Zimmer leisten könnte. Ich bin ein Eindringling, ein blinder Passagier in dieser Luxus-Welt, in die ich nur Einlass finde, weil ein paar Menschen Gefallen an mir und meiner Gesellschaft finden. Keinesfalls aufgrund eigener Leistungen. Doch wer ist schon Teil des Jetsets, allein aufgrund eigener Leistungen, ohne dass nicht wenigsten ein Bisschen Glück und gute Beziehungen eine Rolle spielten? Und wie viele Frauen sind in diesem Hotel auch nur aufgrund Ihrer Ehegatten? Oder als erotische Begleitung für ein paar Stunden Spaß besonderer Art, während sie sich in ihrer Steuererklärung als Models oder Hostessen bezeichnen? Oder sogar ganz offen als Escort – so wie ich?

Das Hotel ist etwas Besonderes. Es gehört nicht zu einer Kette, deren Art es in jeder Stadt gibt, egal ob Berlin, Frankfurt, München oder außerhalb von Deutschland. Es ist ein über hundert Jahre altes Gebäude, mit hohen Decken und dunklem Parkett. Es atmet das Geheimnis der alten Städte. Man fühlt sich traumverloren und dekadent. Als wäre man nicht in Deutschland, sondern in Rom, Triest oder Marrakesch. Die schummrigen hohen Räume mit den dicken Wänden, die den Schall schlucken, bieten die ideale Location für Erotik. Und die Erregung ist noch im Körper und im Kopf, das Oxytocin kickt mich, ich bin ganz in meiner Rolle der verruchten Kurtisane, einer kleinen Größe des Nachtlebens, noch in meinem Kostüm, dem Seidenkleid und dem Couture-Cape, die so gut in diese Kulisse passen.

Ich gehe in die Richtung, in der ich die Fahrstühle in Erinnerung habe – wie immer kann ich sie nicht finden, ich gehe immer, immer erstmal in die falsche Richtung, was dazu führt, dass ich umkehren und nochmal an der Zimmertür meines Kunden vorbeischleichen muss, doch endlich, nach einigem Suchen und Herumirren auf den weichen, Schall schluckenden Läufern, finde ich das marmorne Entré und drücke auf den Knopf. Nach unten geht es immer, nur für die Fahrt nach oben braucht man normalerweise eine Keycard. Wie im überall im Leben. Ich fische nach meinem Telefon und schalte es auf laut.

 

 

Verschwörerinnen der Nacht

 

 

Wen kann eine Escort-Dame unmittelbar nach dem Sex anrufen? Ihre Agentur? Um sich brav abzumelden? Nein, so etwas habe ich nicht und mache ich nicht. Die beste Freundin? Wohl jede junge Frau, die neu in diesem Job ist, erliegt am Anfang dieser Versuchung. Der Abend hat so viel Spaß gemacht, der Mann, im Alter des gemeinsamen Professors, war so aufmerksam wie Männer es nur sind, wenn sie viel Geld für den Abend bezahlen mussten, und alles war so erstaunlich angenehm, er ging auf ihre Wünsche ein, es fühlte sich so natürlich an, sogar mit echten Gefühlen, wenn auch nicht Liebe, so doch Dankbarkeit! Und dann das Honorar, dafür muss die Freundin einen ganzen Monat arbeiten, wenn nicht länger! Spätestens jetzt wird klar, wie groß die Bereitschaft der Freundin am Telefon sein wird, die Freude ihrer Escort-Freundin zu teilen. Um diese Uhrzeit – mit Blick auf den Wecker.

Ganz zu schweigen davon, wie es ist, nach einer eher unerfreulichen Erfahrung mit einem Kunden jemanden anzurufen. Wenn man Trost und Zuspruch sucht in so einer Gefühlsverwirrung, Bestätigung und Liebe, jemanden, der mir sagt, dass es nicht an mir lag, dass ich sicher nichts falsch gemacht habe und mir nichts vorwerfen muss – ich kann davon nur abraten. Die gleichen Freunde, für die es ganz normal ist, von ihren Büro-Jobs frustriert zu sein, die ihren Chef hassen oder fürchten, und die sich nur mit Aussicht auf das Wochenende Tag für Tag zur Arbeit quälen – die selben Freunde, die sich gegenseitig versichern, das sei nur mal so im Leben, das Leben sei kein Ponyhof, und als Erwachsener habe man gefälligst zu funktionieren: sie sagen zu dem Escort-Girl, das sich über seinen Job beschwert, nur den einen Satz: Du musst damit aufhören. Oder, wahlweise: Was machst du das auch, du hast es ja nicht anders gewollt. Ein Escort darf gegenüber Außenstehenden prinzipiell nur geile Erfahrungen machen. Es sie denn, sie ist eine überzeugte Aussteigerin, die jedem erklärt, sie sei missbraucht worden.

Die einzigen, die nach einem Date beim Call eines Callgirls begeistert reagieren, sind ganz bestimmte Freundinnen: nämlich ebenfalls Callgirls. Beziehungsweise High Class Escorts (ich will ja niemandem zu Nahe treten). Egal, wie gut, wie schlecht, oder auch wie durchschnittlich nett mein Date war. Es gibt immer ein paar Kolleginnen, die noch wach sind und Lust haben, mit mir am Telefon das Erlebnis genüsslich auszuwerten. Schließlich treffen die Kolleginnen diesen Kunden ja vielleicht auch mal? Ich setze ein paar Nachrichten ab. Irgendeine wird sich schon melden. Hatte Fanny heute nicht auch ein Date, und Elsa? Vielleicht sind sie auch gerade fertig, etwas high, weil die Anspannung weg ist, und haben Lust zu reden?

 

Ein Blick in den Spiegel im Fahrstuhl – meine Haare sind nass, mein Augen-Make-up verwischt, aber meine Haut strahlt, meine Wangen sind rosig vom Orgasmus und der heißen Dusche, ich fühle mich schön. Ich finde, nie im Leben bin ich so schön anzusehen, wie nach ein paar Stunden erfolgreichem Sex.

Hotels nach Mitternacht sind magische Orte. Ihre Größe und Weitläufigkeit kommt erst dann richtig zur Geltung. Kein geschäftiges Treiben von An-und Abreise, keine Geschäftsleute mit Rollkoffern auf dem Weg zum Bahnhof oder nach Tegel, die in ihre Smartphones diktieren. Das gedämpfte Licht umschmeichelt raffiniert das Dekor der Wände und die opulenten Blumen-Arrangements, aus der Bar kommt gedämpfte Musik, leiser Jazz. Der Barmann bemerkt mich sofort, wenn ich es mir in einem Tisch an der Seite gemütlich mache, und stellt mir ein Schälchen getrüffeltes Popcorn hin, als würden wir uns gut kennen. Ich bitte ihn um nichts, und er stellt keine Fragen.

Kann man mir ansehen, was ich gerade gemacht habe? Dass ich mich vor nicht mal zwanzig Minuten noch unter und auf dem Körper eines hoch erregten Mannes gewunden habe, drei Etagen über der Bar? Ein geübtes Auge sollte mir ansehen, dass ich kein Hotelgast bin, sondern nur zu Besuch – und zwar an meinem Mantel und der großen Handtasche. Ein Hotelgast würde doch höchstens die Keycard und das Handy mit an die Bar nehmen, wenn er so spät noch auf einen Drink herunter kommt. Und wenn ich von draußen käme, dann hätte ich keine nassen Haare, und würde nicht nach dem Hotel-Shampoo riechen. Sind sie so geistesgegenwärtig, die Barkeeper, die Nachtconcierges der großen Hotels? Und fällt ihnen nicht zumindest auf, dass sie mich schon mal gesehen haben? Dass ich die bin, die sich irgendwann mitten in der Nacht ein Taxi rufen lässt? Und nie beim Frühstücksbuffet auftaucht?

 

Wie liebe ich Berlin zwischen Nacht und Morgen. Das dunkelgoldene Licht der Laternen. Der tintenblaue Himmel über dem Gleisdreieckpark, und die Nachtigall in den Büschen am Landwehrkanal. Die große Weite und Leere der Straßen, wenn die Ampeln ausgeschaltet sind, und die Taxifahrer gesprächig. Das alles wartet noch auf mich – aber ich lasse mir Zeit. Ich bestelle ein Glas Bordeaux. Dunkel und schwer. Er brennt auf meinen Lippen, die leicht geschwollen sind vom vielen Küssen. Ein herrliches Gefühl. Etwas, das viele Menschen nur erleben, wenn sie frisch verliebt sind. Mein Telefon leuchtet auf – es ist Fanny! Ich darf sie anrufen. Auch Fanny liebt sie, die Welt der Hotels, der Taxifahrten, der Hotelbars bei Nacht. Wir sind zwei Verschwörerinnen – nur unsereins versteht das köstliche Glück, Prostituierte zu sein.

 

 

 

 

Der Nachtportier

 

 

 

Während ich mein Bordeauxglas leere, beschleicht mich die Erschöpfung. Es war exzessiv, was ich in den letzten Stunden getan habe, und ich fange an, bestimmte Stellen meines Körpers deutlicher zu spüren – leichte Schmerzen, nicht unangenehm, sogar schön. Wie ein Abzeichen. Du bist erledigt, dann ist ja alles gut, du hast also alles gegeben, dein Bestes. Du hast nichts zurück behalten, dich nicht geschont. Du warst gut. Er wird sich gern an dich erinnern.

Mein Kopf wird mir schwer, ich möchte mich hinlegen, aus dem Sichtfeld geraten, die Bühne verlassen. Ich zahle, der diskrete Kellner bekommt ein Trinkgeld, das eigentlich ein Schweigegeld ist. Draußen umfängt mich die seidige Nacht. Ich schaue mich suchend nach einem Taxi um, und der Portier kommt auf mich zu. Gleich wird er fragen, ob ich ein Taxi brauche. Wie immer.

 

Doch stattdessen fragt er mich: Sie arbeiten als Prostituierte, nicht wahr?

Das Blut gefriert mir in den Adern. Das ist die Einleitung zu einem Hausverbot, das Zeichen, dass nicht nur das Personal gemerkt hat, was mit mir los ist – sie haben es längst, das ist mir nun klar – sondern dass ich in meiner Schamlosigkeit, meiner dreisten Selbstverständlichkeit so weit gegangen bin, dass es den anderen Gästen aufgefallen sein muss. Die sich womöglich beschwert haben. Oder eine spitze Bemerkung gemacht haben, und nun fürchtet der Hotelmanager, dass sein Haus ins Gerede kommt – also ob nicht in allen 5-Sterne Hotels auf der Welt Prostituierte zum Inventar gehören würden, sogar in Riad! Doch was kann ich tun? Es ist sein Haus. Irgendwelche Ansprüche, hier zu sein, habe ich nicht. Ganz und gar nicht. Ich habe so wenig ein Recht auf die Gastfreundlichkeit und professionelle Zuvorkommenheit dieses Hauses wie der Bettler, der immer in dem Hauseingang schläft, an dem ich auf dem Heimweg vorbei muss. Die Gäste hingegen, die echten, die haben jedes Recht, die Räumlichkeiten ihres Hotels, ihr getrüffeltes Popcorn, nicht mit einer Hure teilen zu müssen.

Ich fühle mich plötzlich krank. Die Erschöpfung, der Alkohol, meine nassen Haare. In meinem linken Ohr spüre ich einen stechenden Schmerz. Das kann ich mir nicht leisten, hier Hotelverbot zu bekommen, zu viele meiner Kunden steigen hier ab, das wäre ein Schlag ins Kontor! Und wie soll das weitergehen, wenn ich überall schon erkannt werde? Es gibt nur eine Handvoll Fünf-Sterne-Hotels in Berlin. Wo soll ich denn hin? Nur noch zu Kunden direkt nach Hause? Das habe ich bisher immer vermieden, weil zu gefährlich. Oder gleich in ein Großbordell, mich unterordnen, und ordentlich registrieren lassen im Rathaus Schöneberg, in der amtlichen Hurenkartei?

Ich richte mich kerzengerade auf und blickte den Portier an, so gebieterisch ich es nur vermag. Er muss es doch für möglich halten, dass er sich irrt. Wenn ich nun ein echter Hotelgast wäre, würde er mit so einer unverschämten Frage nicht seinen Job riskieren? Ich setze alles auf diese Karte und frage streng: Wie kommen Sie dazu, mir so eine Frage zu stellen?

Der Portier, sanft, aber unbeirrbar: Aber das sind Sie doch, von Hetaera? Sie schreiben doch auch diese Kolumne.

Ich bin entlarvt. Es hilft nichts. Wie konnte ich mir auch einbilden, ich könnte mich so viel im Licht der Öffentlichkeit zeigen und gleichzeitig weiter unter dem Radar fliegen.

Also gut. Was kann ich für Sie tun?

Doch statt der erwarteten Antwort, der eisigen Höflichkeit eines Satzes wie Wir möchten Sie darum bitten, dieses Hotel in Zukunft nie wieder zu betreten, sagte der junge Mann:

Ich wollte fragen, ob ich mich bei Ihnen bewerben kann.

Als Kunde? Oder als – Mitarbeiter?

Als männliches Escort. Wie kann ich das werden?

Ich bin dermaßen erleichtert, ich gebe ihm gleich zwei meiner schicken teuren Visitenkarten. Er ist übrigens ein schöner, dunkelhäutiger Junge. Elegant, manierlich, zum Dienen geschaffen, aber auch stolz. Sich seiner Schönheit etwas zu sehr bewusst. Was für ein kühner Gedanke: will er etwa hier, in diesem Hotel, mit Kundinnen und Kunden verkehren, mit ihnen in der Bar und im Restaurant sitzen, bedient von seinen eigenen Kollegen? Der Junge hat Chuzpe! Ich verspreche, darüber nachzudenken. Wir lächeln uns verschwörerisch zu. Dann kommt mein Taxi.