Newbie-High thrills, Stigma kills
Dieser Text ist gerichtet an alle meine Kolleginnen, die sich als Escorts oder High Class Escorts geoutet haben oder darüber nachdenken. Er ist aber auch für alle meine neuen flüchtigen Bekannten in sozialen Netzwerken, an alte Freunde, Freunde meiner Eltern, Nachbarn und Zufallsbegegnungen, und insbesondere an alle Medienschaffenden, Journalisten, Podcaster, Comedians, Redakteure und Programmchefs unseres freiheitlich-demokratischen Deutschlands. An alle, die mir jemals die Frage gestellt haben, Was machst du so beruflich? Und sich dann beeilten, mir zu versichern, sie hätten gar kein Problem damit, dass ich Escort bin. Hure. Nutte. Prostituiere. Sie seien nämlich extrem liberal. Und dann erwarteten, dass ich dankbar bin und ihre großzügige Toleranz lobe – was ich wohl oft versäumt habe, woraufhin sie sich gekränkt abwandten von mir undankbarer Person: Hier habt ihr euer Lob! Ihr seid so gut. Es ist wirklich nett, wenn einem die Daseinsberechtigung nicht abgesprochen wird. Ich danke euch für diese Gnade.
Immer wieder sagt man mir, ich sei mutig. Mutig, mich zu „outen“. Es einfach so zu erzählen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Auf die Frage nach meinem Beruf eine ehrliche Antwort zu geben. Mutig – oder sogar provokant?
Es genügt halt schon, der Frage, was ich beruflich mache, nicht auszuweichen, um mir anhören zu müssen, ich müsse immerzu provozieren.
Echt jetzt, kein Scherz? Musst du mit jedem schlafen, der zahlt?
Was für eine dumme Frage, selbstverständlich nicht. Ich muss doch nicht jeden Kunden annehmen. Ein Vorurteil, das immer noch viele Leute haben über die Arbeit einer Prostituierten. Vielleicht, weil sie selbst in ihren Jobs Aufträge oder Kunden nicht ablehnen dürfen, im Callcenter zum Beispiel, oder an der Ladenkasse. Oder als Frau im Kulturbetrieb, die sich aufzuopfern hat. Nachdem also dieser Einwand beiseite geschaufelt ist, bleibt, gleichsam in dem leeren Raum, dieselbe Verhaltenheit. Sie sind nicht überzeugt. Es reicht nicht, dass ich eine glückliche Hure bin. Da muss ein Haken sein.
Newbie High
Die Gründe, als Escort anzufangen, hängen meist eher mit Geldsorgen zusammen als mit Abenteuerlust. Aber es ist immerhin eine Wahl, die getroffen wird. Aus Geldnot tun Menschen vieles, man muss sich nicht zwangsläufig für Prostitution entscheiden. Aber der Schritt von der Gelegenheitsprostituierten, die es als kleineres Übel in Kauf nimmt, zu einer entschlossenen Kurtisane, die sich mit ihrer Tätigkeit identifiziert, kann fließend sein. So erlebe ich es seit über zehn Jahren, mit hunderten Kolleginnen, die ich kennengelernt habe, in mehr oder auch weniger luxuriösen Agenturen, im Bordell, bei organisierten Orgien, bei heimlichen Stammtischen, in sozialen Netzwerken, bei den Versammlungen des Berufsverbandes und durch meinen politischen Aktivismus. Die Solidarität unter befreundeten Escorts hilft, die quälenden Selbstzweifel abzulegen. Sich nicht für etwas zu verachten, was einem als verächtlich beigebracht wurde, aber von Nahem gesehen doch so gar nicht verachtenswert ist. Nicht wenige genießen die Bestätigung durch diese Macht, jemandem Lust zu verschaffen, die extreme Aufmerksamkeit, die man in diesem Job genießt. Man kann süchtig werden danach. Die Escorts, die ich kennengelernt habe, bestimmen selbst, mit wem sie Geschäfte machen, und die Grundannahme des Geschäfts ist, dass ihr Körper nicht den Männern gehört, sondern ihnen selbst, als ihr Kapital. Etwas, das man einsetzen kann, auch wenn man sonst nichts besitzt. Eine Frau ist keine Ware, ist nicht ein toter Gegenstand. Als High-Class Escort besitze ich diesen begehrten Körper, schaue aus ihm heraus, wie durch ein verspiegeltes Fenster. Ich lasse die Männer projizieren, fühle mich meinst als die Stärkere. Ich kann mit diesem Körper Seligkeit empfinden, mich meiner eigenen Lust bedienen wie eines Instruments. Seligkeit in der Ekstase des Adrenalins, Jägerin und Trophäe zugleich zu sein, stolz, siegreich – und so rätselhaft unschuldig. Das Gefühl dieser tiefen, kindhaften Unschuld hat mich nach meiner eigenen Escortdate-Initiation völlig überwältigt. Und allen Kolleginnen, die ich frage, ging es offenbar genauso. Darum liebe ich es, jede Neueinsteigerinnen bei Hetaera nach ihrem ersten Date anzurufen, oder sie sogar noch spontan auf einen späten Drink zu treffen, in dem Wissen, dass ich jetzt die einzige aus ihrem sozialen Umfeld bin, die weiß, was sie empfindet. So eine Verbindung ist viel grundsätzlicher als gewöhnliche Freundschaften. Die rätselhafte Unschuld der Initiation rührt vielleicht daher, weil ein ganzes Konzept von Schuldhaftigkeit obsolet wird. Wir streifen es ab wie eine alte Haut, die nicht mehr unsere ist. Dieses Newbie-High führt oft zum unüberlegten Outing. Man möchte es jemandem mitteilen, das Herz läuft über. Aber nicht immer erschließt sich Außenstehenden diese Begeisterung.
Party-Crasher
Ich hatte nie dieses eine, große offenbarungseidhafte Outing. Ich hatte dutzende kleine. Weil ich nie einsah, warum es nötig sein sollte, meine Tätigkeit als Luxus-Escort geheim zu halten. Von Anfang an war ich so stolz auf mein Abenteuer, dass ich es absolut jedem erzählte. Dabei machte ich die Entdeckung, dass gerade Leute, die ich für besonders liberal gehalten hatte, zögerten, mich zu meinem neuen Job zu beglückwünschen.
Wie auf jener Geburtstagsparty: Ich kam erst spät, denn ich kam direkt von einem Date. Ich war entsprechend in Hochstimmung, nicht nur wegen des tollen Sex, und nicht nur wegen des Geldes in meiner Tasche. Ich badete meine Seele immernoch im Blick des Kunden, des Freiers auf mir, dieser einzig richtigen Bewertung meines Daseins als Frau: Anbetung. Begierde ohne Besitzanspruch, eine Geilheit ohne Verachtung, eine überwältigte, entwaffnete Anbetung. Und auch zärtliche Liebe für meine Art zu sein, für mein huldvolles Gewähren. Eine Verschwörung, nach der alle Ehemänner sich sehnen, und die nur möglich ist mit Geschöpfen wie uns, meinen Genossinnen und mir. Weil wir keine Bindung verlangen, sondern die Freiheit, die Freiheit schenken und annehmen. Eine Verschwörung der Libertinage und der Lust um ihrer selbst willen, und eine andere Lust gibt es nicht. Wie könnten die hier es verstehen! Sie sind doch alle Partner von Partnern, oder auf Partnersuche. Ich war high wie ein Bühnenstar beim Applaus. Nur, dass niemand außer mir diesen rasenden Applaus hörte.
Manche Freunde laden mich nach so einem Outing nicht mehr ein. Sie sagen, das sei Ihnen peinlich vor ihren Gästen, aber vielleicht stört sie auch, dass ich ihren Freundeskreis spalte – in Leute, die mich mutig finden, und solche, die erwarten, dass man ihre moralische Entrüstung über mich teilt. Mit meinem bloßen Dasein nötige in die Leute, sich zu verhalten zum kontroversen Thema Sex gegen Geld, und Haltung annehmen zu müssen ist nie besonders komfortabel. So erging es jener Freundin, die mich bat, bei der Frage nach meinem Job zu lügen, wenn sie mich ihren Freundinnen aus dem Prenzlauer Berg vorstellte. Und wütend auf mich war, weil ich es doch verriet nach dem zweiten Glas Rotwein. Neulich trafen wir uns zufällig im Grill Royal – sie mit ihren Freundinnen, ich mit einem Kunden. Diese Sekunden, als sie beim Hereinkommen auf meinen Tisch zusteuerte, und erstarrte vor Entsetzen, als sie erkannte. Zu spät: ihre Begleiterinnen hatten mich schon entdeckt. Und wir beide wussten nicht, ob wir uns grüßen durften.
Provokation für mich
Selbst wohlmeinende Vertraute, die mich nicht fallen lassen wollen, drücken mir unter vier Augen ihr Bedenken aus, das sie quält:
Aber was macht das mit dir!
Die Erwartung, dass ich irgendwann innerlich zusammenbreche vor Scham, moralischem Regress, Männerverachtung oder Gottesfurcht, ist das, was dem TV-Zuschauer im Kleinen Fernsehspiel oder Tatort eingeprägt wird. Eine Hure – ein Skandalon mit nachgerade mythischem Hall. Wie oft fällt dieses Schimpfwort, das die jahrtausendealte Diffamierung zementiert. Es ist das geläufigste Schimpfwort für Frauen weltweit: whore, putain, puta, putana, curva, sharmuta. Und sogar auf chinesisch: biâo zì. Und zwar bemerkenswerter Weise in all diesen Sprachen unabhängig davon, ob die bezeichneten Frauen nun tatsächlich Huren sind, also: Geld damit verdienen, oder nicht. Es genügt, dass sie ihre körperliche Selbstbestimmung über die sittliche Norm stellen.
Vielen meiner Kolleginnen ist Übles widerfahren durch ihr Outing. Oft wurden Freundschaften beendet, oder die neidischen Freundinnen verbreiten gehässig das Gerücht. Eine war freie Journalistin und bekam die Drohung, dass sie gekündigt würde, wenn sie diesen Nebenjob nicht aufgab. Eine musste ihren Reiterhof aufgeben und wurde letztendlich aus ihrem Wohnort vertrieben. Eine musste sich von ihrem Vater anhören, dass er sich vor ihr ekle. Eine darf Familienfeiern nicht mehr besuchen, man findet Ausreden für ihre Abwesenheit. Eine fürchtet, dass ihr Ex-Mann ihr das Sorgerecht für ihr Kind nimmt. Eine wurde von ihrem eifersüchtigen Freund geschlagen, und ihr akademisch gebildetes Umfeld hat für diesen gewalttätigen Mann mehr Verständnis als für die Tochter, die Hure ist. Man wirkte auf sie ein, ihre Beziehung zu retten und diese Tätigkeit aufzugeben, was sie noch mehr vom Einkommen ihres Partners abhängig gemacht hätte. Und dann gibt es noch die doppelt und mehrfach Stigmatisierten, z.B. die Transfrauen, die in meiner Branche häufiger sind in vielen anderen. Oder die Kolleginnen mit „Migrationshintergründen“, für die ein Outing unter Umständen lebensbedrohlich ist. In einigen Ländern der Welt gilt für Prostitution sogar die Todesstrafe. Stigma kills – buchstäblich.
Aber diese Risiken werden in Kauf genommen, weil es ein viel größeres gibt: ein fremdbestimmtes Leben. Wer braucht eine Familie, der wichtiger ist, was die Nachbarn sagen? Wer will Freunde, die einen nicht so annehmen können, wie man ist?
In der deutschen Unterhaltungskultur wird ganz selbstverständlich tabuisierend von Prostitution gesprochen. Als etwas, das selbstredend undenkbar ist und gar nicht weiter erörtert werden muss. Prostituierte gelten entweder als ruchlosen Wesen, die in einem Atemzug genannt werden mit Kriminellen, oder als unmündige Opfer, die gerettet werden müssen. Die Entscheidung, Hure zu sein ist entweder nicht frei, oder nicht richtig. Ist das ein Dogma, dass man nicht hinterfragen soll?
Im Gegenzug zu dem Vorwurf, ich würde provozieren, empfinde ich genau diesen Vorwurf als: Provokation.
Dieser Text erschien am 5. 2. 2021 in der Berliner Zeitung am Wochenende.
So wunderbar und wichtig, Deine Beiträge, so klug und reif! Danke
Die Provokation ist die Freiheit die hinter dem Outing steckt. Du, die Kolleginnen und Kollegen sind nicht mehr dafür angreifbar. Zumindest nicht im Sinne des Outings von außen, daher ist es wichtig noch schlimmere Dinge an dieses Outing zu heften. Das Stigma muss am Leben bleiben, damit die Gesellschaft etwas zu verurteilen hat.