Dieser Text erschien am 12. April 2019 im SZ-Magazin in der Reihe „Coronatagebuch“: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/coronatagebuch/corona-telefonsex-prostitution-88677?reduced=true
Hämische Gesellen machten sich zu Beginn der Corona-Pandemie lustig über unser faktisches Berufsverbot. Haha, dann macht doch Telefonsex!
Sehr witzig. Also ob man so einfach das Genre wechseln könnte. Sagen diese Leute den Telefonsexistinnen (oder wie man die nennt) dann auch, wenn eines Tages alle Telefone ausfallen, haha, dann hab doch echten Sex? Wohl kaum.
Telefonsex und Kopfkino
Andrerseits. Man soll, man muss doch jetzt innovativ sein. Aber der eigentliche Anlass war wohl die Anfrage eines Kunden, ob er denn nicht ein Date am Telefon haben könnte. Einfach reden, ein Stündchen. Gegen die Einsamkeit. Für das Kopfkino.
Kopfkino: ist doch unsere Spezialität bei Hetaera. Die Phantasien, die wir erzeugen. Unsere Tätigkeit besteht doch vor allem aus Kommunikation, aus verführerischen Reden. Wir sind Nachfahren der Nymphe Echo, bevor Hera, die Schutzgöttin der Ehe, sie verdammte. Scheherezade, die sich Geschichten ausdenkt, zu pervers, um sie aufzuschreiben. Wir sind Mindfucker. Physisch sind wir eher zart besaitet, lieben auch sanften Slowsex, oder sogar nur Heavy Petting, das erinnert an die Pubertät. Ein bisschen retro. Wie Telefonieren, und Telefonsex.
Telefonsex. Am Anfang haben wir über die Idee gelacht! Ich sagte, das könnte ich nicht, weil, nichts zu machen, ich habe einfach nicht genug Bügelwäsche, und Telefonsex macht frau bekanntlich nur beim Bügeln. Eine Freundin gab mir den Rat, doch zusätzlich einen Bügelservice zu eröffnen, was gar keine schlechte Idee war, mal abgesehen davon, dass ich nicht bügeln kann.
Jetzt ist es kein Witz mehr. Es ist die Rettung.
Wir besprachen die Angelegenheit in unserem Hetären-Chat. Unser Escortservice ist nämlich basisdemokratisch. Wir haben unsere eigenen Bedingungen festgelegt, um das Escortwesen nach unseren Interessen zu revolutionieren, mit dem Ziel, dass es uns wirklich Spaß macht. Warum sollte man nicht auch Telefonsex haben können, der beiden Seiten wirklich Vergnügen bereitet? Anregendes Plaudern ist doch eigentlich unsere Hauptbeschäftigung: einen Kunden, zwei Stunden oder länger, zu unterhalten. Wir beschlossen also, das billige Image von Telefonsex so zu revolutionieren wie dereinst das Escort-Dating. Und so geschah es.
Mein erster Telefonsex – ein Erfahrungsbericht
Ich habe es bereits getan. Ich war sehr aufgeregt, genau wie bei einem echten Date. Und genau wie immer war ich spät dran. Ich hatte mir noch ein Lager aus Kissen und Decken gebaut und meine schöne Wäsche rausgesucht, den seidenen Morgenmantel. Es war nachmittags, die Sonne schien durch die geschlossenen Gardinen. Ist es zu früh für Weißweinschorle? Es ist nie zu früh für Weißweinschorle.
Als ich anrief, war es so wie sonst, wenn ich mich mit Herzklopfen dem Fremden Mann an der Bar oder am Cafétisch nähere, in dem Wissen, dass ich gleich mit ihm Sex haben werde. Dieselbe Herausforderung, in kürzester Zeit Nähe zuzulassen. Das Gespräch sprang hier- und dorthin, intelligente Konversation, er war sympathisch, zum Glück. Wir sprachen davon, was wir tun würden, wenn ich wirklich bei ihm wäre. Irgendwann fiel mir auf, dass ich mich die ganze Zeit mit der freien Hand selbst streichelte, an meinen Schienbeinen, meinem Hals, meinen Brüsten. Ich ließ es ihn wissen. Ich versuchte, ihm die Nähe meines Körpers zu suggerieren.
Wie viel doch der Körper ausmacht! Worte sind doch der geringste Teil der Kommunikation zwischen zwei Menschen. Der unwichtigste. Wie leicht das im Vergleich doch war, einfach da zu sein und den Körper für sich sprechen zu lassen. Zu lächeln, gut zu riechen und eben abzuwarten. All das fiel nun weg, und ich hatte nichts als meine Stimme. Hilfreich war natürlich, dass er meine Fotos auf der Website dabei anschauen konnte. Eine weitere Herausforderung war, nun auch noch das perverse Kopfkino anzuwerfen. Es kam ja darauf an, ihm nicht nur die Phantasie von meinem Körper hier am Telefon nahe zu bringen, sondern auch meine erotischen Phantasien, die ich ihm sonst, wenn ich in seinen Armen gelegen hätte, ins Ohr gehaucht hätte. Also eine zwiefache Suggestion.
Wie es mir gelang? Ich will hier nicht zu viel verraten. Was genau gesprochen wurde, soll ein Geheimnis bleiben zwischen mir und ihm. Immerhin gelang es mir, Dank Weißwein und Autosuggestion, einen Zustand zu erreichen, in dem die Laute, die ich gegen Ende der Stunde, statt Worten, von mir gab, völlig authentisch waren, und nicht gespielt. Fast hätte ich vergessen, dass ich ihm nur am Telefon nahe war, bis plötzlich ein anderer Anrufer anklopfte: Tobias Haberl, der Redakteur dieser Kolumne, im absolut falschen Moment! (Bitte verzeihen Sie, ich konnte leider nicht rangehen.) Zum Glück merkte mein Gesprächspartner nichts. Er war zu sehr in Ekstase. Beim Orgasmus schrien wir beide, und meine Brillengläser (zu Hause trage ich Brille) beschlugen von innen. Geschafft!
Danach lachten wir beide, und redeten dummes Zeug. So wie nach echtem Sex. Es war dieselbe Gelöstheit, dieselbe Vertrautheit. Ich hätte gern noch weiter mit ihm geplaudert. Leider musste er auflegen. Um sich die Hände zu waschen, und weil er noch ein Meeting hatte – per Skype. Was er wohl sagen sollte, wenn die Kollegen sich wunderten über sein breites Grinsen? Sag doch einfach, du hattest gerade ganz tollen Telefonsex!
Seine Kollegen hielten es sicher für einen gelungenen Scherz.
Ich fühlte mich so wohl wie lange nicht mehr. Wie seit meinem letzten Date nicht! Ich hatte es so vermisst. Diese gemeinsame Lust, sie war so viel besser als allein Masturbieren! Auch wenn wir unsere körpereigenen Drogen nicht miteinander teilen konnten, über die Haut und den Atem. Ein anderer Körper: das war doch viel mehr als nur ein Überträger von Viren, nämlich der Vermittler wunderbarer Botenstoffe, die uns, normalerweise, gesünder und glücklicher machen! Endlich war ich den Ekel vor fremden Körpern los, der sich, durch die Angst vor der Seuche, auch bei mir eingeschlichen hatte.
Sehr geehrte Frau Salommé Balthus (Künstlername),
„Tragödien sind nicht zu verhindern, dsenn sie sind nicht Unglücksfälle, sondern Zusammenstöße gegensätzlicher Welten.“
Aphorismus von Hermann Hesse
mit freundlichen Grüßen jund den besten Wünschen für das neue Jahr
Kai Nebe