(VIP) Nutten erhebt euch!
Über die Infamie der Show „13Fragen“ bei ZDFkultur. Eine Medienkritik.
Von Lola Strawinsky
“Da blutet mir das Herz. Diese armen Mädchen. Da investiert man Zeit und Geld und Liebe als Eltern- und dann das.”
Mein Taxifahrer schüttelt melancholisch den Kopf und kneift das Gesicht zusammen, als würde ihm irgendwas weh tun. Ach ja- sein Herz blutet.
“Das sind so schöne Mädchen, aber wenn ich das sehe- ich bin auch Vater und sowas will man doch nicht.”
“Frauen (ich betone das ihm gegenüber, weil er mir etwas zu gerne die Zuschreibung Mädchen verwendet) dürfen doch selbst entscheiden, welchem Beruf sie nachgehen, oder?” frage ich. Der Taxifahrer atmet hörbar aus und zeigt irgendwo in die Luft.
“Ja aber das ist nicht gut. 90 Prozent davon- alles Zuhälterei. Oder 80. 80, 90 Prozent Zuhälterei ist das. Übel.”
Ich frage ihn woher er die Zahlen hat. Weiß er dann auch nicht. Aber es sei eben so.
Auf die Aussage von mir, dass es Frauen gibt, die das gerne und selbstbestimmt machen hat er auch eine Antwort; Klar- gibt es auch VIP-Nutten, das ist was anderes, aber die meisten machen das wegen Geld.
Das haben Jobs nun mal so an sich, sage ich ihm. Aber VIP Nutten find ich gut, das merke ich mir.
Mein Taxifahrer hätte sich im neuen ZDFkultur-Debattenformat „13 Fragen“ wohl gefühlt.
Endlich Diskussionen ohne sich anzustrengen Argumente faktisch belegen zu müssen, einfach mal drauf los reden, endlich den Emotionen freien Lauf lassen- und der Moral. Klar- Das ist öffentlich rechtlicher Rundfunk! Wenn irgendwo überhaupt noch die Moralkeule schwingt, dann doch hier!
Aber Moment- welche Moral eigentlich? Von wann kommt dieses Verständnis auf das wir uns alle stillschweigend geeinigt haben?
Überraschung. Es hat mit der Bibel zu tun. Auf die hat man sich nämlich früher bezogen, wenn es um die Fragen des richtigen Handelns ging. Und wie wir alle wissen, ist das alte, sowie das neue Testament nicht wirklich ein Manifest der Gleichberechtigung. Klar, da gab es zwischendurch auch noch die Aufklärung, die besagte, wir sollen uns lieber des eigenen Verstandes bedienen um Wertefragen zu beantworten, aber gerade in fordernden Zeiten greifen die unsicheren Geister unter uns gerne auf (sehr) altbewährtes Denken zurück. Und zurück ist in der ganzen Diskussion um das Thema Sexarbeit das Wort der Stunde. Der moralische Unterton suggeriert den Zuhörer*innen von Anfang an eine bejahende Haltung zu dem herrschenden Regel-, Normen- und Wertesystem, das in unserer Gesellschaft als Verhaltensmaßstab betrachtet wird.
So impliziert der Titel des ZDFkultur Formats 13 Fragen “Müssen wir Prostitution verbieten?” und der Untertitel “Führt ein Verbot zu noch mehr Kriminalität?” alles, aber keine neutrale Haltung.
Schon allein das Wort Prostitution, welches mühelos durch den weitaus wertschätzenderen Begriff Sexarbeit hätte ersetzt werden können, unterstreicht die Stigmatisierung auf eine so platte Art, dass ich ehrlich beeindruckt bin. ZDF. Wow. Kultur. Wow.
Natürlich wird dann in einem Zug auch noch Kriminalität genannt, bzw. noch mehr Kriminalität, als würde das Eine erst garnicht ohne das Andere existieren- dass dieses Wort mit Prostitution einhergeht, wurde selbst mir früher gepredigt.
Ob ich das nach fünf Jahren in der Branche bestätigen kann? In keinster Weise.
Ich frage mich ernsthaft welche Kriminalität diese Menschen meinen- weil es für Menschen-, und Drogenhandel eigene Panels geben sollte.
Oder ist die dubiose Zuhälterlobby gemeint? Wenn es nach meinem Taxifahrer geht, dann schon. Sind ja 90 Prozent der Mädchen in solchen Konstrukten. Oder 80? Egal. Ich sehe sein Gesicht vor mir, wie er es zu diesem mitleidvollen James Dean Blick verzieht und ich sehe Leni Breymeier, wie sie mit ihren Terre des Femmes-Freundinnen versucht genau die gleichen “Mädchen” zu retten, die einfach ihrem Job nachgehen wollen, so wie ganz viele andere Menschen in diesem Land.
Und ich denke mir- ich bin das Gerede und die Selbstdarstellung unserer “Retter*innen” Leid, die Diskussionen, die auf dem Rücken einer absolut diskriminierten Gruppe stattfinden, bringen zur Zeit nicht mal den kleinsten Stein ins Rollen und wenn überhaupt, dann nur zurück.
Wir sind pausenlos damit beschäftigt, eine minimale Basis zu verteidigen, nämlich das Recht zu Arbeiten. Und die Lenis dieser Welt wollen lieber ins Fernsehen, anstatt ernsthaft politische Lösungen anzubieten, die die Eingliederung der Branche in die gewerberechtliche und berufsrechtliche Gesetzgebung ermöglichen.
Ich habe mich lange gefragt, ob ich mir die Sendung 13 Fragen anschaue oder nicht.
Zuerst dachte ich, dass mich die Flachheit solcher Diskussionen unglaublich beschämt, wütend und traurig macht und es deswegen wohl eine eher mäßig gute Idee wäre.
Aber ich bin ein Teil dessen, über dass dort geredet wird und ich will mich wappnen,
nicht nur als Sexarbeiterin, sondern auch als reflektiert und klar denkender Mensch.
Ich finde es ist Zeit, dass das Sprachrohr wieder an die geht, die durch veraltete Moralvorstellungen degradiert und unmündig gemacht werden. Ich finde es ist Zeit, dass mit und nicht über uns geredet wird.
Und wenn dann in einem Zug auch noch Kriminalität genannt wird, nennt man das Framing… Auch etwas, wo die Medien noch nicht ausreichend sensibel sind. Und ich weiß, wovon ich rede. Ich bin selber „Medien“…
Schön und gut, dass es euch gibt
Danke für die klare Aussage am Schluss, der ich nur zustimmen kann. Denn es ist weitgehend Konsens in unserer Gesellschaft, dass bei der Entscheidungsfindung die Betroffenen Beteiligte sein müssen. Dies gilt insbesondere für Fragen der gesetzlichen Regulierung von Arbeitsbedingungen. Jede Person, die das nordische Modell propagiert, sollte auf die weitgehend erfolgreichen Reformen in Neuseeland hingewiesen werden. Dieser Aspekt wird in der deutschen Diskussion um gesetzliche Regelungen zu Prostitution oder Sexarbeit fast nie berücksichtigt.
Die angesprochene „Diskussion“ ist im Format „ZDF-Kultur“ völlig fehl am Platz. Die zentrale kulturelle Frage wäre aus meiner Sicht, wie können verschiedene Sozialisationsbedingungen dazu beitragen, dass stets ein respektvoller Umgang der Menschen untereinander praktiziert und respektloses Verhalten konsequent geächtet wird.