Lola Strawinsky ist Schauspielerin – und Sexarbeiterin. Ihre Gedanken über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer beiden Berufe – und was es wirklich bedeutet, seinen „Körper zu verkaufen“.

 

 

 

 

„Stell dich mal dahin, tanz mal was.“

 

Das war der erste Satz, den ich auf der Probe im Theater gehört habe. Ich kam gerade frisch von der Schauspielschule, hatte einen Vertrag an einem namhaften Theater unterschrieben und spielte in einer Produktion mit einem bekannten Regisseur – könnte schlimmer laufen, dachte ich. Dass es völlig selbstverständlich war, dass mein Love Interest selbst locker mein Vater hätte sein können – naja, es gab offensichtlich wichtigere dramaturgische Dinge zu besprechen.

Also stellte ich mich in die Mitte der Bühne und tanzte irgendwas, für mein Love Interest und den Regisseur. Ich wollte am liebsten im Boden versinken. Egal – ich war jung und hoffnungsvoll und das nächste Stück würde bestimmt…

In der nächsten Inszenierung sollte ich die Verlobte von einem über 60-jährigen Kollegen spielen. Küssen inklusive. In der letzten Inszenierung war die Maske so aufwendig, dass das Make-up, was tonnenweise auf mein Gesicht gepinselt wurde, meine Haut furchtbar schlecht machte und wenn ich furchtbar schreibe, dann meine ich das. Aber ohne die zentimeterdicke Schminke wäre es eben nicht möglich gewesen und ich hab ja Geld dafür bekommen, das war mein Job, da sagt man doch eher JA als NEIN.

Das ist ja sowieso der unausgesprochene Deal am Theater, den dort alle kennen, weil wir alle den gleichen Deal gemacht haben: Wir werden bezahlt, also gehört weit mehr als nur unsere Zeit dem Theater. Und aus meiner Perspektive – der einer jungen Frau – betrifft das auch meinen Körper. Es betrifft meine Familienplanung und wenn ich Familie habe, betrifft es auch die.

 

 

„Du verkaufst deinen Körper“

 

Ein gängiger Slogan und ein Argument gegen die Anerkennung von Sexarbeit als entgeltliche Dienstleistung ist der Satz:  „Du verkaufst deinen Körper.”

Wenn ich von meinem Beruf als Schauspielerin erzähle, sagt mir das nie jemand.

Dabei kann ich mir da nicht einfach mal die Haare schneiden oder färben. Es hätte direkte Konsequenzen, wenn ich zu- oder abnehmen würde. Es war während der Ausbildung schwer vorstellbar und es ist immer noch eine Überwindung zu sagen: „Ich möchte nicht geküsst werden in dieser Inszenierung, ich möchte das Kleid nicht anziehen oder von diesem Kollegen, dieser Kollegin möchte ich nicht angefasst werden.”

Und klar: man könnte jetzt sagen, dass das ja auch innerhalb einer Inszenierung passiert und die Personen auf der Bühne spielen ja eine Rolle. Aber konsequenterweise muss dann auch anerkannt werden, dass ich als Hetäre eine Rolle spiele, die ich mir wenigstens selbst überlegt habe.

 

 

Eine Rolle spielen

 

Was Schauspiel und Sexarbeit vereint ist doch die Fantasie, die ich schaffe, das Bild.

Ich verkaufe genauso eine Illusion, aber eben nicht die der Regie, sondern meine.

Als Hetäre habe ich mir den Rahmen für die Illusion selbst gebaut, in meiner Werkstatt sozusagen. Was die Leute sehen, welches Bild entsteht, wenn sie hindurch schauen, ist ihre Sache, auch wenn ich ihnen eine Richtung gegeben habe. Durch die Verzierungen, durch den Duft des Holzes, durch die Farbe der Lackierung.

Beim Theater habe ich das besonders am Anfang anders empfunden. Viel mehr war ich dort nur Trägerin des Rahmens, den ich nicht selbst hergestellt habe.

Ein Rahmen auf zwei Beinen und die Beine, seien wir ehrlich, absolut austauschbar.

Natürlich ist das etwas drastisch formuliert, vor allem weil es auch zu meinem Beruf als Schauspielerin gehört, den Rahmen mit Leben und Eigenheiten zu füllen. Schließlich schalte ich mich ja nicht ab. Und ganz nebenbei, benutzt zu werden kann auch geil sein, das wissen wir alle. Aber nicht für so wenig Geld, so viel Arbeit und vor allem: so wenig Selbstbestimmung.

Wenn ich als selbstständige Sexarbeiterin mein Äußeres verändern möchte, dann kann ich das einfach tun. Ich bin flexibel in der Einteilung meiner Arbeitszeiten und ich schreibe meine Regeln selbst: wo dürfen mich andere anfassen, wann und wie. Dabei kann ich ganz auf mich hören und jeden Tag neu überprüfen, wie es mir mit der Arbeit geht. Und natürlich gibt es Momente, da macht mir die Arbeit weniger Spaß, aber solange das kein grundsätzliches Problem ist, darf das so sein. Wie oft ich zu Proben gegangen bin, mit Bauchschmerzen, völlig übermüdet oder mit der Angst, nichts zu können. Nichtsdestotrotz liebe ich meinen Beruf!

Der Unterschied ist: von dem Gehalt, das ich als Schauspielerin bekomme, kann ich mir nach anstrengenden Proben nicht einfach einen Tag Pause mit SPA, Shopping und Essen gehen gönnen. Ich muss weitermachen.

Als Hetäre habe ich die Möglichkeit, mir nach besonders stressigen Zeiten ein paar schöne Stunden zu schenken. Dann dümpel ich im Salzwasser, lasse meinen Rücken durchkneten und kaufe sexy Dessous, um für das nächste Date wieder die strahlendste Version von Lola zu sein, die ihr je gesehen habt!

 

 

 

Sexarbeit wirkt

 

Mich hat mal jemand gefragt, ob sich das aufs Spielen auswirkt. Mein Hetärendasein. Die Antwort ist: Ganz klar Ja. Es ist besser geworden. Unerschrockener.

Ich habe die Ehrfurcht vor wesentlich älteren Kollegen verloren, toxisch männliches Gehabe macht mich nicht mehr klein. Ich habe solche Männer in ihrer Verletzlichkeit gesehen, ich weiß jetzt, was sie schwach macht und ich weiß, was mein Vorteil gegenüber ihnen ist. Ich habe etwas, nachdem sie sich sehnen und über dieses Etwas möchte ich gern selbst entscheiden. Also wann meine mentale und physische Hingabe umsonst und bedingungslos ist. Und dass es keine Selbstverständlichkeit ist.

Wir haben viel zu lange in einer gesellschaftlichen Ordnung gelebt, in der die Sexualität von Frauen extrem reguliert und unterdrückt wurde, in der der unbeschränkte Zugang zu unseren Körpern und unserer Aufmerksamkeit die Norm war.

Für mich ist Sexarbeit Lernprozess und Leidenschaft zugleich und nur ein Weg von vielen, angemessene Bedingungen an die Menschen zu stellen, die meine Zeit und meinen Körper in Anspruch nehmen wollen.

Aktiv einen Rahmen zu kreieren, in dem alle was von dem Treffen haben, Sexualität oder Intimität nicht passiv zu erleben- denn bestenfalls gehe ich beseelt und empowered zurück. Und wenn nicht, dann sehen wir uns im SPA!

Oder beim Theater – am nächsten Tag, um zehn Uhr morgens auf der dunklen, schlecht belüfteten Probebühne! Ich liebe beides.