Flora Spielrein über ihr erstes Date – mit Kommentaren der Geschäftsleitung

 

 

Es ist ein Donnerstagnachmittag im Januar. Ein Tag wie viele in Berlin, kalt und grau. Aber an diesem Tag stand was ganz Besonderes in meinem Kalender. Mein erstes Date! Mein erstes Date, als Hure.

 

 

Neugier

 

Verabredet waren wir um sieben, Hotel Telegraphenamt. Den Tag hatte ich ungeduldig hinter mich gebracht, hatte Sport gemacht und dann ein bisschen gemalt – ohne mich wirklich konzentrieren zu können. Drei Minuten vor Fünf beschloss ich, mich ready zu machen. Auf dem Weg in die Dusche: Bling, eine Email. Ich huschte schnell zum Laptop, stand nackt vor dem Bildschirm. Die Mail kam von ihm. Meinem ersten Freier. Er habe den ganzen Tag mit der Bank telefoniert und könne nicht so viel Bargeld abheben. Was nun? So startete meine erste Erfahrung als Escort. In diesem Moment war ich sehr froh, dass ich Salomé und die anderen großartigen Frauen im Hetaera Kollektiv um Rat fragen konnte. Es macht so einen Unterschied. Großes Lob für die Community an dieser Stelle.

 

Kommentar von Salomé:

Da fragte dieser Typ doch, ob er später zahlen könnte! Eine Ungeheuerlichkeit. Als ob es nicht die älteste Regel des ältesten Gewerbes der Welt war, dass nur per Vorkasse gezahlt werden muss! Und das hat seine Gründe. Auch wenn wir Huren heute unser Honorar theoretisch einklagen können: diese Möglichkeit ist doch zu theoretisch. Denn wie können wir unseren Einsatz im Nachhinein beweisen? Außerdem würde bei einer juristischen Auseinandersetzung die Gegenseite den Klarnamen der Klägerin erfahren. Ein Risiko, dass einzugehen kaum eine sich entscheiden kann.

Ganz klar, Flora musste nun eigentlich das Date ablehnen. Aber wie sollte ich ihr das sagen? Sie freute sich seit Tagen darauf! Vielleicht war das unverschämte Ansinnen ja verzeihlich – der Kunde war wahnsinnig jung, sofern er nicht bei seinem Alter gelogen hatte. Womöglich war er tatsächlich zahlungswillig. Nur hatte er wohl einfach seinen Dispo überzogen Aber wozu gibt es schnelle Möglichkeiten alternativer bargeldloser Zahlungsabwicklungen in Echtzeit? Flora war so positiv und vertrauensvoll:

 

Hast du Paypal?, fragte ich ihn. Nein, das hätte er nicht. Welcher Mitte Zwanzigjährige hat kein Paypal? Und meine Neugier auf den Menschen, den ich heute Abend vögeln werde, wurde noch größer.

Welcher Mittzwanzigjährige hat kein Paypal? Alle Alarmsirenen schrillten. Der wollte uns doch linken. Schon wieder so einer: Ein Tastenwichser, ein No-Show-Kandidat, oder noch Schlimmeres.  Flora sollte auf gar keinen Fall zu diesem Date fahren! Doch ich sah die Nachricht zu spät…

 

 

Was wird mich erwarten?

 

Eine Stunde später saß ich geduscht und eingecremt im Uber auf dem Weg ins Ungewisse.

Mein weicher Körper war eingehüllt in einem Seidenkleid mit hohen Lederstiefeln und einem kleinen schwarzen Tanga. Ich fühlte mich sexy und konnte es kaum erwarten mich ins Abenteuer zu stürzen. Gleitgel, Kondome, Massageöl und Kerze in meiner Tasche. Was wird mich erwarten? Wer ist dieser Mensch? Und wie wird wohl unser Sex? Ich war aufgeregt, meine Hände wurden schon ganz nass und mein Schritt auch. Das Herz schlug schnell, wie der Puls der Stadt.

Als ich mit meinen langen Beinen ins Amt stolzierte konnte ich ihn nicht finden. Vor dem Szenario habe ich mich schon gefürchtet, aber ich nahm es mit Humor. Die Atmosphäre war sehr vornehm und kühl. Es waren nicht viele Leute da und die, die da waren, waren meist schon zu zweit und in rege Gespräche verwickelt.

Meine Augen wanderten langsam durch die Gegend. Ganz am Ende der Bar saß ein sehr gut angezogener Mann, der auf seinem MacBook herum tippte.

Allerdings. Ich kommunizierte per Mail mit ihm, um verzweifelt eine sofortige Zahlungsmöglichkeit zu erörtern. Angeblich hatte er genug Geld auf dem Konto, daran läge es nicht, also schlug ich eine Sofort-Überweisung vor. Auf unser Geschäftskonto. Ausnahmsweise. Er schickte mir einen Screenshot. Doch seltsamerweise kam das Geld bei uns nicht an. Immernoch versuchte ich, Flora zu erreichen, um sie zu stoppen! Doch sie hatte ihr Telefon auf stumm geschaltet. So wie sie es von mir gelernt hatte…

 

Der Laptop wurde zugeklappt und Drinks wurden bestellt. In der ersten halben Stunde konnte ich nicht aufhören zu grinsen. Zu bizarr die Situation, dass ich gerade diejenige bin, die dafür bezahlt wurde, und nicht er.

…und schaute die ganze Zeit nicht einmal auf ihr Handy! Ebensowenig wie er. Wenn sie nur nicht mit ihm nach oben ging, bevor sie meine Rückmeldung hatte, dass seine Überweisung angekommen war!

 

 

 

Ich hätte mir nicht ausdenken können…

 

Die Zeit verging wie im Flug, wir machten uns auf den Weg nach oben. Ich war aufgeregt, aber weniger als ich dachte. Eher hatte ich einfach große Lust und freute mich sehr darauf, meine und seine Kleider jetzt endlich ausziehen zu dürfen. Hast du den letzten Blogartikel gelesen? Salomé schrieb in ihrem Text darüber, dass sie Menschen nicht zur Hure macht, sondern, dass man als solche geboren wird und ich glaube spätestens in diesem Moment wusste ich, dass ich eine bin.

 

Die Stunden schlichen dahin in quälender Langsamkeit, ohne Reaktion von Flora. Und wenn sie ernsthaft in Gefahr war? Und ich war mitschuldig an ihrer Situation? Ich war kurz davor, zum Telegraphenamt zu fahren, um die beiden zu stoppen, wobei auch immer. Allein das Abwägen von Eigenverantwortung, Übergriffigkeit und der sogenannten Spontaneität des Affekts lähmte meine Aktivitäten.

 

Der Sex war nicht der wildeste und auch nicht der romantischste, den ich je hatte, aber trotzdem lag in dieser Zeit eine ganz besondere Intimität. Ich hätte mir nicht ausdenken können, dass so eine Nähe zu Fremden überhaupt möglich ist und erst recht nicht in so einem kühlen grauen Zimmer, wie in dem des Telegraphenamts. An diesem Abend haben wir uns beide so aufrichtig und tiefgehend über unsere Leben ausgetauscht, Schicht für Schicht, wie ein Seelenstriptease.

 

Was eine Hure als erstes lernen muss, ist, Männern nicht blind zu vertrauen. Sie soll sich geben wie eine Geliebte, die Männer wie ihre Liebhaber behandeln, aber nie vergessen, dass es keine sind. Es gibt keinerlei gegenseitige Verantwortung. Diese innere Freiheit kann den Sex besonders ausschweifend machen. Aber sie ist mit Geld zu bezahlen. Das Geld ist die Versicherung der Wertschätzung, und nur das Geld. Keine Geschenke oder Schmeicheleien. Und erst das Gefühl, bezahlt zu haben, setzt auch in unseren Kunden dieses Gefühl der Gelassenheit frei, sich fallen lassen zu können. Den Betrüger erkennt man unschwer an seiner Angespanntheit.

 

 

Die Hungrige

 

Diese erste Erfahrung fühlte sich auch ein bisschen an wie früher, als ich Modell gestanden hatte. Hungrige Blicke schweiften über meine Silhouette, jedes Detail wurde eindringlich studiert. Nicht aber an diesem Abend. Er und ich, sieben Stunden, mit guten Drinks und Happy End. Gerade weil die Rahmenbedingungen so klar abgesteckt waren, war er frei von dem Druck, mir gefallen zu müssen. Während er einfach er selbst war, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was ich von ihm denken könnte. Seine Ungezwungenheit und Authentizität zogen mich magisch an. Das war sehr inspirierend.

 

Als du mich nach dem Date anriefst, war das Geld immer noch nicht auf dem Konto. Und am nächsten Tag auch nicht. Angeblich sei es zurückgebucht worden, sagte er. Ein Fehler der Bank – ich ärgerte mich über seine billigen Ausflüchte. Aber du warst fest davon überzeugt, dass es nur ein Versehen war. Dass du nicht ausgenutzt worden warst. Der Junge hat dir gefallen, das war klar. Aber darum geht es eigentlich nicht bei unserem Gewerbe. Eine Hure ist keine Frau, die sich aus Begeisterung für einen Mann gratis hingibt! Wenigstens war es schön!, sagte ich, innerlich kochend vor Wut.

Aber du wolltest, dass ich ihm vertraue! Er würde schon zahlen…

 Du behieltest Recht.

Eine Woche lang kommunizierte ich mit ihm, erst höflich, dann noch höflicher. Am Ende war er soweit, nochmals nach Berlin zu reisen, um das Geld in bar persönlich abzugeben. – Aber er meinte doch hoffentlich nicht an Flora, um womöglich ein weiteres Mal gratis in den Genuss ihrer kostbaren Gegenwart zu kommen? Es war dann so:

 

Er kam nochmal nach Berlin, sogar bis an Salomés Tür, um ihr das Geld in bar für mich zu geben!

…und da konnte ich dich  verstehen. Er war wirklich ein ganz zauberhafter Junge.

 

Du darfst das letzte Wort behalten:

Was erwartet mich als Nächstes? Ich bin jetzt die Hungrige!