von Salomé Balthus

 

 

„Wir müssen über die Freier reden!“ – sagen die, die sie am liebsten hinter Gitter sehen würden.

Was sind die Nebenwirkungen des #Freierstigma?

 

 

Das Wort fand ich immer schon seltsam: Freier – das ist doch einer, der heiraten will! Auf Freiers Füßen wandeln. Die Freier, die Penelope bedrängten, wollten den Platz ihres verschollenen Gatten Odysseus einnehmen. In alten Liedern ist die Rede von jungen Männern, die sich ein Mädchen freien. Es aus seiner Familie befreien? Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit, heißt es in Schillers Ballade Die Bürgschaft. Das nämlich muss der arme Damon noch erledigen, bevor er sich seinem  Todesurteil stellen kann. Und der König, der es verhängt hat, zeigt trotz seiner Grausamkeit volles Verständnis für diese Unabkömmlichkeit des möchtegern-Tyrannenmörders. Denn was kann schließlich die arme Schwester dafür.

Warum kann sie eigentlich nicht alleine gehen? Gute Frage.

Die Rede ist hier nicht von einer Familienfeier, bei der er gnädiger Weise noch mal vorbeischauen will um Tschüss zu sagen bevor er gekreuzigt wird. Ohne männlichen Vormund kann sie nicht an ihren Gatten übergeben werden. Es ist eine patriarchale Pflicht: als einziger männlicher Verwandter muss er seine Schwester (an Stelle des offenbar verstorbenen Vaters), die rechtlich gesehen sein Eigentum ist, dem neuen Besitzer übergeben. Die Ehe ist ursprünglich nichts anderes als ein Eigentumsvertrag.

Als Freier kann auftreten, der voll rechtsfähig ist, als freier Mann. Eine Frau konnte keinen Mann freien. Sie konnte es nicht bis vor wenigen Jahrzehnten.

Eine Hure nun, die sich selbstständig und aus eigenem Antrieb Männern anbietet und das Geld für ihre Dienste anschließend behält, ist eine Rechtsbrecherin. Sie beansprucht ein Eigentum, was ihr traditionell als Frau gar nicht gehören durfte: ihren Körper. Das macht sie zur Kriminellen, außer dort, wo Prostitution legalisiert ist, wo also der Staat, bzw. in vorigen Jahrhunderten auch die Kirche, als Nutznießer (um nicht zu sagen, Zuhälter) erscheint. In meinem Staat ist es glücklicherweise nur der Fiskus. Doch trotz juristischer Toleranz haftet an meinem Beruf das Air der Kriminellen, eines subversiven Subjekts, das sich Dinge erlaubt, die es nicht darf, sich mehr heraus nimmt als Frauen je zustanden. Die Frage, was uns eigentlich heute, hier, zusteht, beantwortet vielleicht am besten die nicht enden wollende Debatte über Prostitution, die unermüdliche Problematisierung dieses mittlerweile legalisierten, im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Berufes.

 

 

 

Freiheit als Vorwurf

 

Kannst du dir deine Kunden aussuchen? Was ist, wenn du dich vor einem Freier ekelst?

– Mit solchen merkwürdigen Fragen werde ich konfrontiert, seit ich mich geoutet habe: natürlich. Natürlich nicht. Ich kann mir nicht aussuchen, wer als Kunde auf mich zukommt. Aber ich kann entscheiden, ob ich mit ihm ins Geschäft komme. Es kommt darauf an, wie hoch die Nachfrage ist, und wie sehr ich das Geld brauche oder will.  Doch dass ich im Prinzip zu nichts gezwungen bin, ist essentiell für mich. Man kann auch unangenehme Jobs freiwillig machen, das nennt sich Selbstbestimmung. Manchmal erfüllen mich gerade solche Tätigkeiten mit besonderem Stolz, weil ich etwas geschafft habe, was andere nicht schaffen. Weil ich es will. Weil ich es kann.

Ich kann übrigens auch jederzeit zwischendurch gehen, das Date abbrechen. Der Kunde übrigens auch. Ob es dann bei dem vereinbarten Honorar bleibt, oder nicht, hängt von den Umständen ab. Einmal hatte einer einen so hartnäckigen Schluckauf, dass er zu nichts in der Lage war – obwohl wir wirklich alles versuchen, alle Tricks ausprobierten, die das Internet hergab. Doch als der arme Kerl den Schluckauf auch nach zwei Stunden (die gebuchte Zeit) nicht los geworden war, ging ich, und behielt auf seinen Wunsch hin mein Honorar. Ich werde für meine Zeit bezahlt, nicht für Orgasmen in Milliliter.

Du musst doch dann aber alles tun, was sie von dir verlangen!

– Auch dies ist zugleich richtig und falsch. Ich habe, wie viele Leute die ihre Arbeit lieben, einen gewissen professionellen Ehrgeiz. Ich möchte gut sein, ich möchte beeindrucken. Ich möchte zeigen, was ich kann und wer ich bin, möchte angeben, möchte vielleicht erfüllen, was sich Life Changing Sex nennt – eine erotische Erfahrung, von der meine Kunden vor der Begegnung mit mir nicht wussten, dass es sie geben kann. Ich möchte die Anerkennung, natürlich auch in Form von Geld, und ich möchte wissen, dass ich etwas dafür getan habe, und stolz auf mich sein. Die Ausgangsfrage, dass ich tun müsste was man von mir verlangt, hätte nicht diesen unheilschwangeren Tonfall, ginge es nicht um Sex, sondern um Innenarchitektur oder um ein Modeatelier für Maßanzüge, oder, um das Thema von Anfang aufzugreifen, um Brautmoden und Hochzeitsveranstalter. In der Hotellerie rühmt man sich mit Begeisterung für die Fähigkeit, der Kundschaft die Wünsche von den Augen abzulesen und das Unmögliche möglich zu machen. Liegt es also daran, dass Sex als etwas Negatives gesehen wird, etwas (für die Frau) Schlechtes, das man eben nur erduldet, weil man es muss? Aus Liebe, für die man gern Opfer bringt?

 Du verkaufst deinen Körper!

– Dieser Fehlschluss ist nicht tot zu kriegen, egal wie unsinnig er ist. Als ob man seinen eigenen Körper verkaufen könnte. Dann wäre man ja Subjekt und Objekt des Handels zugleich, was logisch unmöglich ist. Man kann höchstens den Körper eines anderen verkaufen, eines Sklaven oder einer Leiche. Eine Hure verkauft eine Dienstleistung, eine körperliche und mentale. Der Freier kauft sich keinen Körper, er kauft sich eine Behandlung, ein Gefühl in seinem eigenen Körper. Man könnte viel eher sagen, ein Freier kauft sich seinen Körper, also einen körperlichen Zustand, den er durch die Arbeit einer Hure erhält. Körperlich und mental gleichermaßen.

Keine Frau lässt sich freiwillig von dutzenden Männern in alle Körperöffnungen penetrieren!

Oh doch, und mitunter sogar unentgeltlich, oder sie zahlt sogar dafür, es nennt sich Orgie, und in der Erotik gilt der kategorische Imperativ, dass das eigene Handeln niemals zum Maßstab für eine allgemeine Moral gelten kann.

Prostitution ist Gewalt gegen Frauen!

Sie kann es sein, in bestimmten Fällen. Aber ein Verbot von Sexarbeit, auch durch die Hintertür des Verbots von „Sexkauf“, also einem Bezahlverbot,  ist es in jedem Fall. Es gibt das Freierstigma, weil es das Hurenstigma gibt. Letzteres betrifft auch die Frau, die selbst entscheidet, mit wem sie schläft – unabhängig von Ehe oder Beziehung. Auch so eine wird traditionell ja als Hure bezeichnet, obwohl sie gar keine Dienstleistung gegen Entgelt anbietet. Nicht jede Hure ist eine Prostituierte. Und leider auch nicht jede Prostituierte eine Hure.

 

 

 

Terra incongnita

 

Meine Verblüffung über die schrägen Vorstellungen von meiner Tätigkeit – als wäre es die einer willenlosen Sexsklavin – weicht mittlerweile dem Sarkasmus. Dummheit ist ein Saat, die arge Früchte trägt. Was sagt diese Denkungsart über das Geschlechtsleben der Menschen aus (meist sind es Frauen), die mir solche Fragen stellen? Denken sie, die sexuelle Ausbeutung als Zwangsprostituierte sei die einzige Alternative zu ihrem gönnerhaften oder aufopferungsvollen Gratis-Sex in ihren mehr oder weniger dauerhaften Paarbeziehungen? Erwarten sie am Ende auch eine Art von Entschädigung dafür, dass sie es über sich ergehen lassen, zum Beispiel die wirtschaftliche Absicherung durch den Mann?

Ausgerechnet aus feministischer Richtung wird das Modell der monogamen Beziehung, der Treue zu dem einem Mann, oder zumindest zu der Serie jeweils einzelner Partner als das einzig Richtige, Gesunde hochgehalten – eines Partners, der halt ebenso treu zu sein hat, obwohl in der patriarchalen Tradition der Ehebruch vor allem als Verfehlung der Frau geltend gemacht wurde – der Verführerin, der Hure. Weibliche Eifersucht war in der Geschichte meist ohnmächtig, männliche Eifersucht hingegen meist tödlich – für die Frau.

Warum ist meine Art, Prostituierte zu sein, immer noch weniger glaubwürdig als die eines passiven, leidenden Opfers, das seinen Körper einfach fremder Lust überlässt? Warum die die Vorstellung, ich würde meine Gefühle unterdrücken, nichts empfinden wollen, dissoziieren und mich eventuell von meinem Körper abspalten wie bei einer traumatischen Erfahrung das, was man von mir erwartet – statt dem Bild eines Vamps, der sich holt, was er will, Sex, Champagner, Rausch, Geld und Selbstbestätigung noch dazu? Letzteres ist das bei weitem zutreffendere, auch wenn ich natürlich davon ausgehe, dass das Vergnügen gegenseitiger Natur ist.

Das Sexualleben einer Frau, die mit vielen Männern schläft, zu denen sie (meist) keine Liebesbindung hegt, wäre gesellschaftlich gerade noch hinnehmbar, wäre da nicht der monetäre Faktor. Die Tatsache, dass die Hure ihre Zuneigung gegen Geld gibt, bedeutet ja nämlich nicht, dass sie es immer nur des Geldes wegen tut, dass sie sich jedes Mal überwinden muss, und dass ihr jeder Freier, egal wie galant, eigentlich zuwider ist. Nein, schlimmer: es lässt ihre Empfindungen völlig im Unklaren. Ob sie Lust empfindet oder nicht, wird zu ihrem Geheimnis. Sie kann es vielleicht ohne Lust.  Sie ist vielleicht gerade in Geldnöten und zieht es durch. Aber wie viel von ihrer Laszivität vorgetäuscht ist, und wie viel echt, weiß in der Tat nur sie selbst. Und dadurch wird ihre Lust zu einem Privatgelände, zu dem nur sie allein Zugang hat. Nicht mal der Mensch, mit dem sie schläft, hat Zutritt zu dieser Privatsphäre. Der Mann erhält keine Bestätigung seiner vermeintlichen Qualitäten durch die Tatsache, dass eine Hure sich sexuell auf ihn einlässt. Indem die Hure sich hingibt, vergibt sie sich nichts, niemand kann sich einbilden, sie verführt oder erobert zu haben. Sie ist vor, während und nach dem Akt ganz für sich, agiert ganz für sich allein, und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Ihre Lust gehört nur ihr, sie schläft eigentlich mit sich selbst, genießt sich selbst, während sie ihre Promiskuität vermeintlich mit ihren Freiern teilt. Die Erotik einer Hure ist durch und durch narzisstisch. Und darin besteht der eigentliche Skandal.

 

 

 

Gesunder Menschenverstand

 

Wir müssen über die Freier reden!

…heißt es also jetzt mal wieder in Deutschland. Prostitutionsgegner rufen auf zu einer heiligen Hetzjagd gegen die Männer, die Huren Geld geben. Die Stoßrichtung kommt ausgerechnet aus einem Lager, dessen angehörige sich vor dreißig Jahren als links verorteten. Sie werfen sich auf die Freier, weil die Attacke auf die Prostituierten aus feministischer Perspektive nicht politisch korrekt ist. Das Freierstigma soll verstärkt werden, weil das Hurenstigma bereits ausgehöhlt und unterwandert ist, und nicht mehr lange halten wird. Die kognitive Dissonanz angesichts der skandalösen Sexualität selbstbewusster Huren, die ihre Freier nämlich wollen, sogar begehren, wird betäubt mit dem Bild der Zwangsprostituierten, die als einzig wahre gelten soll. Die Männer sollen schuldig sein, die Frauen Opfer. Unschuldige geschändete Jungfrauen, die Sex nur aus Liebe ertragen, anstelle des ewigen Tabus der lustvollen, männerverschlingenden Sirene. Am liebsten will man ganz konkret eine staatlich-behördliche Hetzjagd treiben, so wie in Schweden. Die Kunden von Prostituierten zu Straftätern erklären, sie dämonisieren. Sie beschämen und öffentlich bloßzustellen, z.B.  durch Behördenbriefe mit Umschlägen in einer eigens zu diesem Zweck bestimmten Farbe. So dass alle Hausmitbewohner und Nachbarn gleich wissen, was los ist.

Oder wie in dem prominenten Fall des schwedischen Profiboxers und Moderators Paolo Roberto, der voriges Jahr nach einem einzigen Bordellbesuch sämtliche Jobs, Engagements und Werbepartnerschaften verlor und so sehr von der schwedischen Öffentlichkeit  gedemütigt, verurteilt und verfolgt wurde, dass er sich der Sohn italienischer Arbeitsmigranten öffentlich in den Staub warf und erklärte:

„Ich bin ein Parasit, der es verdient hat, ausradiert zu werden“.

Es soll geächtet und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, wer einer Hure Geld gibt. Was so etwas Folgen für die Huren hat, ist eine simple Gleichung: es kann keine Hure geben ohne die Freier, die ihren Preis bezahlen. Den Preis der Freiheit aber, den zahlen alle beide.

 

 

Dieser Text erschien am 10. Juli 2021 in der Berliner Zeitung am Wochenende.