Juliette Morrigán ist eine versierte Künstlerin in nahezu allen erotischen Spielarten auf dieser schönen Erde. Dennoch gibt es sogar für sie immer noch etwas dazu zu lernen. Hier lässt Sie uns alle an ihren neuesten Entdeckungen teilhaben.
„Es ist so…naja… Hasen wechseln die Farbe ihres Felles im Winter, weißt du?“
„Ja, ich weiß.“
Ich entschleunigte meinen Gang und versuchte mehr von dem Gespräch des spazierenden Paares zu lauschen. Nicht weil mich die Hasenfell-Kenntnisse des jungen Mannes sonderlich interessierten, sondern eher wegen ihrer trockenen Antwort: „Ja, ich weiß.“
Hatte ich hier eine Wissenslücke? Woher wusste seine Gesprächspartnerin so selbstverständlich von diesem winterlichen Vorgang bei Hasen? Oder täuschte sie dieses Wissen vor, weil sie sich für Hasen überhaupt nicht interessierte und hoffte damit weiteren Ausführungen seinerseits zu entkommen?
Mein eigenes Interesse an Hasen beruhte ausschließlich auf meinen Begegnungen mit einem sehr liebenswürdigen Escort-Kunden – der im Bett gerne „Hasen“ spielt. Da kommt bei den meisten gleich Assoziationen mit „rammeln“ aber das ist in der Tat weit entfernt von unserem verspielten, zärtlichen und auch sehr erotischen Liebesakt – oder „Pet-Play“, wie es so schön auf Englisch heißt. Er liegt auf mir, meinen Körper durch seine „Hinterbeine“ fest im Griff und streichelt mir hinter den Ohren, zieht sie mir manchmal etwas lang. „Das mögen Hasen besonders gerne“, sagt er vergnügt, dreht mich dann auf den Bauch und packt mich hinten am Nacken. „So kann man Hasen auch tragen“. Ich bezweifele, trotz meinem Leichtgewicht, dass er mich wirklich so tragen könnte, aber ich genieße den festen Griff am Nacken und kichere, wenn er mich dabei anhebt und schüttelt. Das löst nebenbei auch meine Nackenverspannung und wir liegen später eng umschlungen und überlegen lachend, ob dies nicht eine Marktlücke in der Massagebranche sein könnte. „Hasenmassage“ – samt Klopftechnik mit den Hinterbeinen, Schütteln und Streicheln. Ich würde sofort buchen.
Ich probiere immer gerne neue Massageformen aus und integriere Techniken, die mir gefallen, in meine eigenen Massagen. Ich habe schon einige Überraschungen erlebt. Ich erinnere mich gut an eine Massage auf einer Fernreise, bei der der Masseur mir eine kräftige Ganzkörpermassage gab – ausschließlich mit seinen Füßen. Diese waren nur so sandig, dass sich das Ganze wie ein Hardcore-Peeling anfühlte und hinterher auch so aussah. Ich habe nie erfahren, ob dies Teil des Massagekonzeptes war oder ob der gute Mann einfach versäumt hatte, seine Füße zu waschen. Es gab auch noch die Massagetechnik, die angeblich bei traumatisierten Soldaten angewendet wird. Sie endete mit einem unangekündigten, kräftigen Faustschlag auf dem „Herzpunkt“ am Rücken, der so heftig war, dass mir gefühlt minutenlang der Atem stockte. „Der Schlag hilft, die Angst zu lösen“, erklärte der Masseur, während ich ernsthaft um meine Wirbelsäule fürchtete.
Ich bin beim Sinnieren zu schnell gelaufen und habe das eigentliche „Hasengespräch“ hinter mir gelassen. Dabei wollte ich gerne mehr erfahren. Ich weiß immer noch nicht warum Hasen die Farbe des Felles im Winter wechseln. Dient der Farbwechsel dazu, sie besser zu wärmen oder zu tarnen? Ich bleibe unauffällig bei einem Schaufenster stehen, damit die beiden mich einholen können und frage mich erneut, wer eigentlich diesen ganzen Kram kauft, der in den Läden von Prenzlauer Berg steht.
Ich bin zu spät. Sie haben das Thema gewechselt.
„Ich habe mit denen telefoniert…ich überlege den Kontakt abzubrechen. Es ist wie… alte Teppiche.“
Ich bin erschrocken. Aus meinem weich-flauschigen Tagträumen entrissen. Von wem redet sie? Von ihren Eltern? Von einem befreundeten Paar? Sie möchte den Kontakt nun abbrechen, weil sie wie „alte Teppiche“ sind? Ich bin gespannt was der Hasenkenner darauf antworten wird.
„Hm… es ist… wie Computer-Dateien. Sie kommen an und eine davon ist schwarz, weißt du?“
Wirklich? Was ist das für eine Antwort auf ihren drohenden Kontaktabbruch mit Menschen, die ihr vielleicht einst nah waren sie ihrer aber jetzt anscheinend überdrüssig ist?
Mich fasziniert diese Aneinanderreihung von Bildern, eingeleitet von „es ist wie…“. Dabei kenne ich es gut aus meiner somatischen Sexualcoaching-Arbeit. Ich ermutige Menschen oft dazu, Körperempfindungen oder Gefühle in Bildern auszudrücken.
Die beiden haben mich nun überholt und ich blicke verstohlen hin, überlege wie sie jeweils in einer Sitzung auf die Frage: „Wie ist zurzeit deine Sexualität?“ antworten würden. „Es ist wie…?“. Ich bin auch neugierig, in wie weit sich das Leben und die Gefühlswelt der Frau ändern wird, wenn sie sich von den „alten Teppichen“ löst. Sind die beiden tatsächlich ein Paar und könnte ich sie eventuell zu einer „Hasenmassage“ oder zu „Hasensex“ inspirieren, sollten sie gerade eine Flaute in ihrem Liebesleben erfahren?
Ich versuche einen Schlussstrich unter meine Gedanken zu setzen. Solche Gedankenausflüge kenne ich gut, wenn ich länger im Urlaub bin. Ich fange an, aus Spaß über fremde Menschen und ihrer Sexualität wild zu spekulieren. Oder ich stelle mir vor, dass der gut aussehende Tourist am Cafétisch gegenüber vielleicht später die Hetaera Website entdeckt, wenn er eine schöne Begleitung für seinen Berlinaufenthalt sucht. Wie wäre es wohl, ihn zu verführen? Die Knöpfe seiner bequem-sitzenden, teuren Cordhose aufzuknöpfen und meine Hand dort hineingleiten zu lassen. Gut, dass mein Urlaub bald vorbei ist und ich wieder in den Genuss solcher realen Begegnungen kommen kann.
Ich lasse die beiden weiter vorausgehen und löse mich bewusst und entschlossen aus meiner lauschenden Rolle. Ein letzter Fetzen des Gesprächs erreicht mich noch, bevor sie in die Ferne ziehen.
„Sorry, dass ich sie weitergeleitet habe. Sie war so unsicher. Das ging gar nicht.“
Das klang etwas gefühllos, aber wer bin ich, die Handlungen unbekannter Menschen zu beurteilen? Flauschig fühlte ich mich nicht mehr, als ich in mein Lieblingscafé hinein bog und mir einen Tee bestellte. Die Frage nach dem Grund für den Fellfarbwechsel ließ mich nicht los, und meine Suchmaschinen-Recherche führte mich doch überraschend auf die Gefühlsebene zurück.
„Warum wechseln Tiere ihre Fellfarbe?“ las ich.
„Früher dachte man, die Tiere wollen damit ihre Feinde beeindrucken oder sich tarnen. Fühlten sie sich belästigt oder verängstigt, zeigen sie jeweils eine andere Farbe. Doch heute weiß man, dass sie ihre Farbe wechseln, um ihren Artgenossen mitzuteilen, wie sie sich fühlen.“