Das Regime im Iran legitimiert seine Gewalt gegen Frauen mit dem Stigma der Hure als Inbegriff der Amoral. Über den Zusammenhang zwischen Misogynie und Hurenhass

 

 

Text:  Salomé Balthus      

Abbildung: Dahlia Nyx (Picture : Uwe Hauth)

 

 

 

 

Sie haben die Überschrift gelesen, aber dann gesehen, dass es um die Frauen im Iran geht –  und sind empört? Sie sind der Meinung, Assoziation der Iranerinnen mit Prostituierten verbietet sich?

Sie finden außerdem,  es sei ungehörig, mir den Kampf dieser mutigen Frauen im Iran gewissermaßen anzueignen, nur weil Prostitution zufällig mein Thema ist? Sexarbeit mit dem Iran zu assoziieren?

Was bin ich dann für Sie: Schamlos? Unmoralisch?

Sehr schön, dann sind wir ja mitten im Thema.

 

 

Hurensolidarität gefällig?

 

Die große Sympathie von Menschen aus der ganzen westlichen Welt, mit der unterdrückten Bevölkerung des Iran – Menschen aller Geschlechter, nicht nur Frauen – ist authentisch und intuitiv. Wie könnte man nicht dagegen sein, was dort geschieht. Wie könnte man nicht dagegen sein, dass jemand allein für ein verrutschtes Stückchen Kleidung von der eigenen Regierung getötet wird? Für ein paar Zentimeter Stoff, ein paar Pigmente Rot auf den Lippen, lachen, tanzen, küssen in der Öffentlichkeit. So krass und unverständlich wie die Gewalt des Regimes, so selbstverständlich ist die Solidarität mit den Opfern. Es ist keine besondere Mutprobe, sich mit den Protesten im Iran zu solidarisieren. Es ist hierzulande auch keine rechtliche Grauzone, sich als Frau die Haare abzuschneiden. Es gibt wirklich keinerlei Kontroverse über den Iran. Die Sache ist völlig klar, dieses Regime ist unmenschlich, seine Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen.

Wenn ich mich als Hure – als echte Hure – mit den Frauen solidarisiere, die für solche Nichtigkeiten wie ein verrutschtes Kopftuch als Huren diffamiert werden, was tue ich dann eigentlich? Ist meine Solidarität überhaupt erwünscht? Von den Menschen im Iran, und von denen westlicher Prägung, die sich ebenfalls mit dem Iran solidarisieren wollen? Verlange ich zu viel? Gehe ich zu weit? Würde ich durch meinen extremen Standpunkt nicht die Forderungen der Menschen im Iran unterminieren, die doch nichts anderes wollen, als so frei zu leben wie ganz normale Bürger in der westlichen Welt?

 

 

 

Die Hure in jeder Frau

 

Wenn man hört, was Menschen aus dem Iran über das Vorgehen der berüchtigten Sittenpolizei berichten, und mit welchen Begründungen das Regime diese brutalen Übergriffe legitimiert, dann taucht früher oder später immer die Diffamierung der Frauen als Huren auf.

Ich höre Berichte, wie Frauen, die Lippenstift trugen, unter heftigen Beschimpfungen als Hure, als Prostituierte, genötigt wurden, sich mit von den Schergen dargereichten Taschentüchern die Lippen abzuwischen – in den Taschentüchern waren Rasierklingen versteckt.

Ich lese Berichte, wie sogar weibliche Mitglieder der Sittenpolizei, natürlich korrekt schwarz verhüllt, ihre eignen Geschlechtsgenossinnen verfolgen, verhaften, der Todesgefahr des Foltergefängnisses aussetzen – mit der wütenden Schmähung „Ihr Huren!“.

Die Sittlichkeit, die absolute Vermeidung von allem, was eine Frau zur Hure machen könnte, wird höher bewertet als das Leben. Es ist die Hure in jeder Frau, die unterdrückt werden muss, und koste es das Leben. Und alle Frauen sind potentielle Huren. Ihr Wesen bricht sich Bahn, sobald es nicht unterdrückt wird mit Gewalt. Eine Frau soll lieber tot sein, als eine Hure.

 

Natürlich ist mir klar, dass diese Iranerinnen keine Prostituierten sind – in den allermeisten Fällen. Ich würde sie selbst nicht als Huren, als meinesgleichen bezeichnen. Jedenfalls nicht in dem Sinne, was man hier im Westen unter dem Begriff versteht. Heute. Vor wenigen Jahrzehnten war das noch nicht ganz so klar. Da konnte man auch hierzulande eine Frau eine Hure nennen, wenn sie sich nicht an die guten Sitten hielt. Wenn sie allein nachts ausging, sich freizügig kleidete, schminkte, ihre Sinnlichkeit auslebte. Wenn sie signalisierte, dass sie völlig selbstbestimmt mit ihrer Sexualität umzugehen die Absicht hatte. Ein Schreckensbild, das bekanntlich jahrhundertelang bekämpft wurde.

Für die Mullahs jedoch sind Frauen, die auch nur den winzigsten Regelbruch begehen, ebenso Huren, wie ich eine bin. Ob sie nun daraus ein Gewerbe machen oder nicht, ist völlig unwesentlich. Die Frauen, die jetzt revoltieren, werden als frivole, von westlichem Einfluss verführte und verdorbene Subjekte hingestellt. Das Regime unterstellt dem Westen buchstäblich, dass es die Frauen im Iran zu Prostituierten machen wollte. (Wirklich ein merkwürdiger Vorwurf, wo doch in Westeuropa die Bürgerrechte von Sexarbeiterinnen zunehmend durch Verbote und Schikanen bedroht sind.) Sicher sind für die Mullahs auch die Frauen hier in Berlin auf der Demo waschechte Huren. Nichts als schamlose Sünderinnen. Ich hätte dort also eigentlich ganz gut hingepasst. Aber eben nur, wenn es nach den Mullahs geht.

 

 

Hure-Sein ist relativ

 

Wie reagieren westliche Frauen, westliche Journalistinnen auf die Stigmatisierung der Iranerinnen als Huren? Sie empören sich, ohne darüber nachzudenken. Halten es selbstredend für eine schreckliche Diffamierung. Denn natürlich sind das da auf den Straßen von Teheran ja keine Huren, sondern ganz normale Frauen. Nach westlichen Maßstäben sind Frauen ohne Kopftuch und mit Kurzhaarschnitt normale, absolut anständige Frauen. Kein bisschen frivol oder unanständig. Und Betroffenheit kommt auf, wenn Frauen dafür verfolgt werden, dass sie leben wollen wie wir.

 

Als ob das Problem in einer Verwechslung bestünde. Als ob man echte Huren, Prostituierte, ja vielleicht derart bestrafen dürfte, aber ganz normale Frauen doch nicht.

Auch westliche Frauen wollen meist keine Huren sein, und verwahren sich davor, als solche bezeichnet zu werden. Es gilt auch hier als schwere Beleidigung. Und es ist mit dieser Beleidigung, Du Hure!, Du Nutte!, auch hier nicht definiert, ob es sich um berufsmäßige Sexarbeiterinnen handelt, oder nur um Frauen mit besonders lockerer Moral – wie immer diese auch gerade definiert wird.

 

Im Westen ist es natürlich leichter, nicht als Hure zu gelten. Aber so leicht ist nun auch wieder nicht:

Eine Frau, die viele Affären hat, ist eine Hure – zumindest in den Lästereien der von ihr abgewiesenen Männer.

Eine Frau, die Sex nur ohne Liebe und Beziehung will, ist eine Hure – unnatürlich, womöglich pervers.

Eine Frau, die ihre Erotik zu offensiv vor sich herträgt, ist nuttig, eine billige Nutte.

Eine Frau, die sexuell belästigt wird, ist mitschuldig, denn sie hat den Täter animiert und provoziert, hat sich betragen wie eine Hure.

Eine Frau, die vergewaltigt wird, ist eine dreckige, eklige Hure – sagt ihr Vergewaltiger. Und so fühlt sich das Opfer auch selbst, ob es will oder nicht. Es ist nicht nur vom Täter überwältigt, sondern auch von seiner Scham.

Prostitution ist bezahlte Vergewaltigung – sagen die, die Prostitution abschaffen wollen.

Frauen im Iran haben einen zu hohen Preis bezahlt für ihre Angst vor dem Hurenstigma. Sie sind zahlungsunwillig geworden.

Frauen im Westen haben ebenfalls Angst vor dem Hurenstigma, nur der Preis, den wir dafür zahlen, ist eben noch erträglich. Der Zwang ist nicht so offensichtlich. Sich an die Regeln zu halten, ist menschenmöglich, und hat nicht den Grad des Aberwitzigen erreicht, der auf lange Sicht das Ende bedeutet. Wer die Zügel zu straff spannt, zerreißt sie. Die Zügel der westlichen Frau liegen so geschmeidig an, dass wir sie nur im Ausnahmezustand spüren, oder eben, wenn wir selbst ein Ausnahmefall sind.

Du Hure, bedecke dich! Was maschst du so spät allein auf die Straße! Lauf nicht herum wie eine läufige Hündin. Der Platz einer Frau ist Zuhause. Die Natur der Frau ist es, sich aufzuopfern für die Familie. Senke den Blick. Gehorche.

Es ist nicht mal ein Jahrhundert her, dass diese Prinzipien auch im Westen selbstverständlich waren. Wie fast überall auf der Welt. Ist es eigentlich wirklich vorbei? Oder hat sich die Norm nur ein wenig gelockert und verschoben, so wie der Saum eines nachlässig getragenen Kopftuchs?

Kopftuch tragen ist im Westen verpönt, manche wollen es gar verbieten – paradoxer Weise im Namen weiblicher Selbstbestimmung. Aber Fremdgehen ist auch hier immernoch ein Tabu. Arbeiten darf die Frau, sie muss es meist sogar, aber auch Mutter sein. Den Männern gefallen, aber sie nicht provozieren. Das Korsett ist durchaus geschnürt. Der Atem geht flach. Und Neu-Rechte würden gern einiges zurück haben von der guten alten Zeit, wo es noch Zucht und Anstand gab. Die gesellschaftliche Mehrheit, wohin treibt es sie? Aus meiner Sicht, der einer der privilegiertesten Huren überhaupt, geht es seit Jahren eher rückwärts als vorwärts. Ich bin nicht die Avantgarde, das habe ich eingesehen. Eine Mehrheit von rund 70% ist zwar immernoch gegen Verbote und tolerant gegenüber Prostitution, aber wehe, wenn die eigene Tochter, Partnerin oder Mutter es tut. Dann tritt die Psychotherapie auf den Plan. Ich muss froh sein, wenn ich weiterhin ertragen werde. Ich habe mich in meiner Rolle als Unterhaltungs-Provokateurin eingerichtet und will die Mehrheitsgesellschaft nicht ändern, weil ich sie nämlich nicht ändern kann.

 

 

Der Traum vom Ende der Angst

 

Es ist mir ja so furchtbar klar: Im Bild der vermeintlichen Hure verteufelt man die Frau, die selbst über ihre Sexualität, ihr Schicksal entscheiden will – dieser Zusammenhang zwischen Misogynie und Hurenhass fällt mir halt auf, weil Hure-Sein meine Lieblingsprovokation ist. Ich fühle mich schrecklich überlegen. Ich fordere lautstark, dass keine Hure sich mehr schämen sollte, Hure zu sein. Und dass überdies keine Frau sich mehr sorgen muss, für eine gehalten zu werden. Weiß ich doch von mir selbst, was passiert, was für eine Magie das ist, wenn eine Kollegin sich outet. Wenn eine Frau aufhört, sich davor zu ängstigen, als Hure bezeichnet zu werden. Wie sich ihr Verhalten ändert, ihr Selbstbewusstsein, wenn sie nicht mehr jede kleine Geste daraufhin überprüfen  muss, ob sie diesen Anstoß erregt. Ich habe es auch an anderen Frauen erlebt, etliche Male, wenn ich meine Kolleginnen dabei unterstützt habe, sich vor ihren Angehörigen zu öffnen, öffentlich ihr Gesicht zu zeigen. Es ist ein echter Kick, nicht mehr im Griff der Angst vor der moralischen Verurteilung zu sein, eine Euphorie von Freiheit, ein Schwindelgefühl – immer gefährdet von schrecklichen Rückfällen in Angst und Scham. Wir müssen so lautstark sein, um gegen diese Scham anzukämpfen, die uns jederzeit wieder überwältigen kann, immer wieder und wieder. Wir sind nicht frei davon. Und das, obwohl wir unser Gewerbe völlig legal ausüben dürfen seit über zwanzig Jahren. Es ist keine Heldinnentat, sich hierzulande als Prostituierte zu outen. Es ist nichts Verbotenes, und nicht mehr sittenwidrig nach dem Grundgesetz. Wir müssen dazu gar keine Heldinnen sein, haben es nicht nötig. Und ich verzichte auf das abgeschmackte Brecht-Zitat.

Vielleicht entsteht gerade im Iran eine Generation von Frauen, die emanzipierter sind als je eine Generation von Frauen war. Frauen, die wirklich keine Angst mehr haben, Huren genannt zu werden. Todesmutig. Wie gern würde ich ihnen die Hand reichen!

Doch ich wage es nicht. Es ist mir doch selbst zuwider, dieses überhebliche Schulterklopfen westlicher Arroganz: So gut und aufgeklärt wie wir werdet ihr auch noch! Wo immer ich es beobachte, erfasst mich sofortige Übelkeit.

Wie früher die Missionare, die voller Genugtuung ihre bekehrten Wilden vorführten. Die Hand, die überheblich auf Schultern klopft, sie sollte sich vorsehen. Manches Maskottchen ist nicht so zahm wie geglaubt, und beißt. Niemand im Westen sollte sich einbilden, dass unsere Geschichte den Menschen im Iran als Vorbild taugen könnte. Oder spüren Sie es etwa nicht, beim heimlichen Besuch dieser Website, das Frauen wie wir den Schutz der Anonymität der Großstadt brauchen? Und auch Sie, wenn Sie eine von uns treffen, dies nicht jedem erzählen wollten?

 

 

 

 

Dieser Text erschien ungekürzt am 30. Oktober 2022 in der Berliner Zeitung am Wochenende.