von Salomé Balthus (alias Hanna Lakomy)
Mein Telefon klingelt. Am Apparat mein alter Freund Gregor Gysi.
„Hanna, sag mal, der Volker Kauder hat mit mir geredet. Er hat gesagt, er hätte im Flieger von Köln-Bonn nach Berlin neben einer jungen Frau gesessen, die ihm frech erzählt hat, dass sie Prostituierte sei, und dass sie mich kennt. Das kannst doch nur du gewesen sein?“
„Gregor, ich gestehe! Aber ich schwöre dir, ich habe extra betont, dass ich dich nicht als Kunden kenne!“
Das war nämlich so:
„Das ist aber nett, mal so eine adrette junge Dame als Flugnachbarin zu haben.“
„Und ich finde es sehr interessant, einen CDU-Politiker einmal persönlich kennenzulernen. Sonst kenne ich nämlich nur Leute von der Linken, wie Gregor Gysi zum Beispiel.“
„Sie kennen den Gysi? Was machen Sie denn beruflich?“
„Ich bin Prostituierte.“
„Nicht doch!“
„Doch, Herr Kauder. Aber nicht, dass Sie jetzt denken, der Gysi wäre einer meiner Kunden. Den kannte ich vorher schon.“
„Sie, eine Prostituiere? Aber Sie sehen doch so nett aus!“
„Ich bin auch nett. Und ich liebe meinen Beruf.“
„Aber ist das denn nicht schlimm, das Deutschland jetzt das Bordell Europas ist?“
„Aber Herr Kauder. Das ist doch wundervoll! Endlich sind wir nicht mehr die Spießer-Nation der Gartenzwerge!“
Der arme Kauder! Er tat mir ein bisschen Leid, dass er mir begegnet war. Ich war auf dem Rückflug von einem schönen Wochenend-Date auf Schloss Bensberg. In der kirschroten Reisetasche eines berühmten französischen Kofferlabels war ein dicker Briefumschlag plus Trinkgeld. Ich trug eines meiner niedlichsten Kleider und fühlte mich verwöhnt, weil mein Kavalier mir ein Ticket in der Business-Class spendiert hatte. Und ich wusste, dass ich damit nicht dem Bild eines Christdemokraten von einer Prostituierten entsprach – mal abgesehen davon, dass ich keine Barbie bin. Dass er mich fragt, was ich beruflich mache, hatte ich inständig gehofft, seit er neben mir Platz genommen hatte.
Prostitution ist kein Job wie jeder andere. Es ist der vielleicht am stärksten stigmatisierte Beruf der Welt. Er wird immer noch in einem Atemzug mit Verbrechen genannt. Um diesen Beruf mit Stolz und Souveränität auszuüben, braucht man eine sehr spezielle Charakterbildung. Man muss es aushalten können, anders zu sein als so viele andere. Das trifft oft bei Künstlern zu, oder Freigeistern. Genau diese Eigenschaften müssen die Frauen aber haben, die ich auf meiner Website Hetaera versammle. Sie zeigen ihr Gesicht, und wissen genau, was sie tun. Wir bei Hetaera zahlen niemandem Provision und organisieren unsere Arbeit selbst.
Leider hat Prostitution oft genug herzlich wenig mit Selbstbestimmung zu tun: man kann sie eben auch praktizieren als das passive, geistbetäubte Anbieten des eigenen Körpers. Ein Akt, der ohne jegliche Ambitionen eben auch denen möglich ist, die sonst keine großartigen erwerbsmäßigen Optionen haben. Weil sie Drogenprobleme haben, oder unbehandelte psychische Erkrankungen. Oder weil sie gar nicht legal arbeiten dürften. Menschen, die auch nicht die krasse Disziplin für den Bewerbungs-Marathon von Hartz IV aufbringen. Es kann eben auch eine Wahl sein, lieber für 20 Euro an der Kurfürstenstraße 10 Minuten Oralverkehr anzubieten, anstatt für dieselben 20 Euro einen ganzen Tag in einem Fastfood-Restaurant zu putzen. Solche Entscheidungen haben wir in einer liberalen Gesellschaft zu respektieren, auch wenn es uns nicht gefällt.
Wenn eine Frau von Zuhältern dazu gezwungen wird, Sex gegen Geld anzubieten, ist das zwar auch Prostitution, aber vor allen Dingen eine Vergewaltigung. Doch gegen Zuhälterei, Menschenhandel und Vergewaltigung gibt es bereits alle nötigen Gesetze. Schade, dass das Geld fehlt, sie richtig umzusetzen. Die Steuern, die für die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes verwendet werden, hätte man klüger anlegen können.
Herr Kauder und ich verbrachten den Flug mit charmantem Geplänkel. Ich kann dem alten Herren nicht vorwerfen, dass er auf meine Argumente nicht einging. Er hat ein öffentliches Gesicht. Und als Politiker ist er nicht mit einer Privatmeinung unterwegs, die sich spontan ändern darf. Dass eine Partei wie seine die konservative Rolle, das traditionell-religiöse Familienbild vertritt, erwarte ich geradezu. Ich erwarte von meinen Feinden, dass sie ihre Rolle auf dem politischen Schachbrett ordentlich spielen.
Meine Eltern standen am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. Ich bin dankbar für die liberale Gesellschaft, in der ich lebe. Ich bin nicht nur dankbar: ich bestehe auf meiner Freiheit. Und ich halte es mit Rosa Luxemburg und ihrem berühmten Zitat über die Freiheit der Andersdenkenden. Der britische Jurist Myles Jackman sagte über die Pornografie, sie sei der Kanarienvogel in der Kohlenmine der Meinungsfreiheit. Wenn dieser Angriff auf die Freiheit des Einzelnen hingenommen wird, dann fallen nach und nach alle anderen Bürgerrechte. Das, was für die Pornografie gilt, gilt ebenso für die Prostitution. Wer diese Freiheit der anderen nicht ertragen kann, wer sie abschaffen will zugunsten einer Welt nach seinem Wünschen, der ist ein Feind der liberalen Gesellschaft. Er ist damit nicht nur allein mein Feind.
In der Frage, ob Prostitution sein darf, plädiert nicht nur die Christliche Union für ein Nein. Die Angriffe kommen auch aus der links-liberalen Ecke: von den Nachkommen der Alt-68er. Die aggressivsten Gegner meines Berufes, diejenigen, die wirklich für die Abschaffung der Prostitution durch das „Nordische Modell“, das Sexkauf kriminalisiert, kämpfen, kommen gerade aus dem linken Milieu. Damit meine ich nicht Mitglieder der Linkspartei, sondern das Bildungsbürgertum, Leute in den Medien, die Psychologen-Zunft, Sozialpädagogen, Kulturschaffende. Die, die das Bild der deutschen Öffentlichkeit prägen. Die Kinder der 68 ́er, die die alten Nazi-Säcke von den Stühlen geschupst haben. Doch die Kinder der Kinder, die nicht sein wollten wie ihre Eltern, haben genau dies von ihnen übernommen. Sie wollen nicht sein wie ihre 68-er Eltern, die ältere Generation der linken gesellschaftlichen Mehrheit, die unterging in der Ära Schröder. An deren Anfang noch gelang endlich die Legalisierung der Sexarbeit, die den Prostituierten endlich dieselben Grundrechte einräumte wie allen anderen Staatsbürgern. Das war ein Schritt, der dem bürgerlichen Millieu von heute zu weit ging.
1968 ist für mich eine Geschichte aus längst vergangener Zeit. Das, was heute unmodisch oder verpönt ist: Rebellentum, Verachtung von Sicherheit und Wohlstandsstreben, linke Theorien, Bruch mit den Traditionen – das war damals total in. Dafür war das obsolet, was in meiner Welt alle wollen: eine Festanstellung, solide Altersvorsorge und klar geregelte Verhältnisse in Sachen Liebe und Beziehung. Liegt das an der Unsicherheit unserer Zeiten? Sind sie wirklich unsicherer? Oder hat nur die Feigheit zugenommen in der Ära des Neo-Biedermeier von heute? Es ist kein Zufall, dass die Debatte um Prostitution gerade heute wieder Thema ist. Das Gummiband der Liberalisierung schnellt zurück. In den besonders puritanischen Epochen war die Prüderie immer charakteristisch, weil das Privatleben Thema war. Die Art, wie wir Sex haben, bestimmt das Bild der Beziehungen, das Familienbild, und damit das Wesen der Gesellschaft. Ist es privat, mit wem ich schlafe? Nein, es ist gesellschaftlich überaus relevant. Dass jemand gleichzeitig ein relevanter Künstler, verantwortungsvoller Chef, Denker oder Staatsführer sein kann, und dennoch Obsessionen nachgehen, Exzesse suchen kann, wird kategorisch verneint. Gefordert wird die total widerspruchslose Persönlichkeit, die nichts zu verbergen hat. Dieser Angriff auf die Intimsphäre führt im Umkehrschluss auch zu dem verstärkten Wunsch nach Diskretion, nach Schutz vor der unerbittlichen Öffentlichkeit. Die Notwendigkeit eines Doppellebens, das zugleich immer gefährdeter ist durch Facebook, Big Data & Co. Wie gut es sich anfühlt, die Anstrengungen so eines Doppellebens aufzugeben, erfahre ich gerade. Es ist ein Privileg. Nicht jeder kann so ungeniert auf einen guten Ruf verzichten wie ich.
Vielleicht ist es das, was für die 68er-Kinder so irritierend ist: was sie auf eine politisch korrekte Liebesbeziehung projizieren, nämlich die vorherige Absprache, was genau passieren wird, das Abklären von Tabus, und auch die Notwendigkeit, das Einvernehmen verbal zu erklären, anstatt es einfach vorauszusetzen – ist gerade, was früher in Liebe und Ehe fehlten. Absprechen, Verhandeln, das war, was eine Hure mit ihren Kunden macht. Der übliche Sex in Liebe und Ehe von vor vierzig Jahren müsste heute wohl als Vergewaltigung bezeichnet werden. Die Verhandlungstaktik einer Hure aber hat das neue Bürgertum für sich übernommen – Stichwort no means no, bzw. nur ein „Ja“ bedeutet ja. Gerade wegen dieser neuen Abgrenzungsschwierigkeiten gibt es eine so starke Abwehr gegen Prostituierte. Die Prostitution wird paradoxer Weise heute mit Vergewaltigung gleichgesetzt, mit Gewalt gegen Frauen – dabei ist sie von ihrem Wesen her die Macht der Frau über das Kapital ihres Körpers. Zu allen Zeiten waren die Huren – diejenigen ohne Zuhälter jedenfalls – die einzigen Frauen, die selbst über ihren Körper bestimmten. Wenn andere Frauen sich dasselbe Recht herausnahmen wie die Huren, wurden sie konsequenter Weise als Hure beschimpft. Das Wort Hure kommt vom althochdeutschen huor, und meint eine Frau, die mit mehr als nur einem Mann, dem Ehemann, Sex hat. Das Wort Hure wurde von jeher als Schimpfwort für Frauen benutzt, wenn diese sexuell selbstbestimmt aktiv waren. Am getreuesten dem altdeutschen Wortsinn nach benutzen das Wort also die Jungs mit Migrationshintergrund bei mir in Berlin Neukölln.
Das alles konnte ich Herrn Kauder nicht vermitteln in unserem Smalltalk über den Wolken. Und doch muss ich ihm im Gedächtnis geblieben sein, sonst hätte er nicht Monate später meinen Freund Gregor Gysi darauf angesprochen. Zu meiner Erleichterung störte es den gar nicht, im Adressbuch einer Hure aufzutauchen. Er fand es „einfach köstlich“, dass der Kauder ihn darauf angesprochen hatte.
„Das meinst du jetzt ironisch“, rief ich, „der Kauder hat den lüsternen Freier in dir sehen wollen!“
Darauf, weise, mein Freund Gregor Gysi:
„Ich weiß ja, dass ich ́s nicht bin. Und ich bin dir dankbar: auf diese Weise hat der Kauder nach all den Jahren im Bundestag endlich mal mit mir geredet.“
2 Comments
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Liebe Salomé, mit Vergnügen habe ich Deinen WELT-Beitrag gelesen. Ja, so wie Dui schreibst, so bist Du: Eine Frau von Welt und von Geist, die selbst einem Betonschädel wie Volker Kauder noch einen Lebensfunken einhaucht. Gruß und Kuss von Carlos
Was für eine gescheite und vergnügliche Lektüre in all dem bigotten Gelaber, das einem täglich unaufgefordert ins Haus kommt! Don Alphonso hat Sie empfohlen – und ich weiß, warum.