Urania, 3. Dezember, 12 Uhr. Eine Veranstaltung gegen Sexarbeit.
Der kleine Saal viertelvoll, dreiviertelleer. Auf dem Podium sechs Frauen, Abolitionistinnen, die ein Ziel haben: Prostitution abschaffen. Oder, noch besser, die Prostituierten vertreiben. Zumindest aus dem schönen, moralisch sauberen Deutschland. Und ihre Kunden, die Männer, bestrafen. In den Augen der Abolitionistinnen sind Männer nichts als eklige, schwitzende Monster. Ihr Sperma ungefähr so gefährlich wie Atommüll. Es sei denn, es wird aus Liebe in die Frau vergossen, mit der man eine liebevolle feste Beziehung führen möchte. Oder zumindest in eine Frau, die nicht dafür bezahlt wird.
In den ersten drei Reihen Fans, die sich offenbar untereinander kennen, zur selben Zeit und auf die selbe Weise lachen, buh rufen oder klatschen.
Thesen, die propagiert werden:
- Sexarbeiterinnen, die von sich behauten, sie würden den Job freiwillig oder sogar gern tun, sind Opfer einer Gehirnwäsche durch das Patriarchat. Sie sind zu „90%“ Opfer von Missbrauch während der Kindheit, und führen dieses Muster fort. Diese Sexarbeiterinnen werden eines Tages, wenn sie alt sind, diese Lebenslüge und den Selbstbetrug erkennen, und das wird schrecklich sein.
- Man darf Sexarbeit nicht Sexarbeit nennen. Denn es ist weder Arbeit noch ein Hobby, sondern Gewalt an Frauen. Wer eine Frau für Sex bezahlt, kann sie auch gleich vergewaltigen, es ist nämlich genauso schlimm.
- Wenn eine Frau wirklich freiwillig als Prostituierte arbeitet, bereichert sie sich am Leid Tausender Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung sind. Denn natürlich gäbe es diese Opfer nicht, wenn Prostitution verboten wäre.
- Ein Sexkaufverbot verhindert effektiv auch die kriminelle Prostitution.
- Gewerkschaftliche Organisation und Prostitution schließt sich aus, weil Prostituierte gar nicht dazu fähig sind. In den Berufsverbänden sitzen ausschließlich Mitglieder der Zuhälter-Mafia, die Einfluss auf die Politik nehmen. Und die Politiker tun alles, was die Zuhälter ihnen sagen.
- Niemand will die Prostituierten bestrafen. Nur ihre Kunden. Niemand will den Sexarbeiterinnen ihren Job wegnehmen. Nur ihre Kunden.
- Geschlechtsteile sind entweder heilig (die Vagina) oder ekelhaft (der Penis).
- Abolitionism is love
Als ich mich zu Wort melde, werde ich als Zuhälterin beschimpft. Man verlangt, dass ich mir einen „richtigen“ Job suchen soll, anstatt das Leid von Zwangsprostituierten weiterhin mit zu verursachen. Denn Frauen wie ich sind die wahren Täter.
Muss ich etwas dazu sagen?
Was mich an den Abolitionistinnen am meisten stört, ist ihre Scheinheiligkeit.
Nein, sie hassen SexarbeiterInnen nicht. Sie glauben nur nicht, dass es sie gibt. Prostituierte sind für sie nämlich keine Frauen, die arbeiten, sondern Frauen, denen Gewalt angetan wird. Sie sehen in uns Opfer, keine handelnden Subjekte. Dass sie uns dadurch selbst die Gewalt antun, die sie dem Patriarchat zuschreiben, sehen sie nicht.
Nein, sie wollen uns nicht kriminalisieren. Nur unsere Kunden. Sie wollen uns nicht den Job wegnehmen. Sie wollen nur, dass uns niemand mehr dafür bezahlt.
Nein, sie hassen Ausländer nicht. Sie wollen sie nur nicht in ihrer Stadt und in ihrem Land. Das zu sagen fällt leichter, wenn es sich bei den Ausländern um SexarbeiterInnen handelt. Sie behaupten dann, diese Frauen würden ja selbst am liebsten gar nicht da sein. Sie behaupten, diese Frauen würden am liebsten zurück nach Hause, in einen anständigen Job im Kreise ihrer Familien. Dass es gerade diese Familien sind, um derentwillen diese Frauen in den reichen Ländern Geld verdienen, sehen sie nicht.
Nein, sie verschließen nicht die Augen vor dem Elend. Sie denken nur, wenn diese Frauen schon in Deutschland (Schweden, Norwegen, Frankreich, where ever) sind, dann sollen sie wenigstens unsichtbar sein. In Billigsektor-Jobs verschwinden. Sie finden es ok, wenn junge Osteuropäerinnen ihnen schwarz die Wohnungen putzen, aber nicht, wenn die Osteuropäerinnen für das selbe Geld mit deutschen Männern schlafen. Dass sich hinter diesem übergriffigen Paternalismus blanker Unterschichtsekel verbirgt, sehen sie nicht.
Nein, sie sind keine Feindinnen der Sexualität. Nur moralisch muss es zugehen. Sie stehen den sexuellen Freiheitsbedürfnissen offen gegenüber. Nur müssen die zum christlichen Familienbild passen. Eine Frau muss mit ihrem Körper tun können, was sie will! Außer mit ihrer heiligen Vagina. Der Körper einer Frau gehört ihr allein – es sei denn, sie will ihn verkaufen. Dass genau das dem patriarchalen Bild entspricht, nach dem eine Frau ihren Körper den Institutionen von Familie und Staat zur Verfügung zu halten hat, sehen sie nicht.
Nein, Sie sind nicht gegen die liberale Gesellschaft. Sie wollen nur, dass allein die Dinge erlaubt sind, die ihnen gefallen. Dass die Gesetze dazu da sind, ihnen das Land zu schaffen, das sie sich wünschen. Dass Staaten, in denen alle einer Meinung sind, in keiner weiter entwickelten Zivilisation bestehen, sehen sie nicht.
Und ich glaube, sie sehen es wirklich nicht. Sie sind nicht mal zynisch. Sie sind einfach nur rechts.
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- Was mich an den Abolitionistinnen am meisten stört, ist ihre Scheinheiligkeit. – BesD e.V. Berufsverband Sexarbeit - […] Dies ist ein Beitrag von unserem Mitglied Salomé Balthus: […]
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Besonder Schlussteil ist genial ausgedrückt. Chapeau!
Im Übrigen, Zustimmung auf ganzer Linie.
Danke für den interessanten Beitrag!
Ich sehe das (als Außenstehender, weder Kunde noch Anbieter) genauso wie du. Jeder soll machen dürfen, was er möchte, solange er damit keinen anderen Menschen schadet.
Hast du die Dokumentation in ZDF oder ARD vor ein paar Wochen gesehen? Da kochte das Thema medial gerade wieder richtig hoch.
Vielleicht möchtest du dazu etwas schreiben? Oder hast es sogar schon?
Danke und mach(t) weiter so! Sorry, wenn das ‚Du‘ zu vertraulich war. 🙂
Ja, ich habe diese qualitativ mehr als grenzwertige „Doku“ gesehen, und auch sofort einen Brief an die Zuschauerredaktion und den Rundfunkrat geschrieben. Der Berufsverband BesD e.V., in dem ich auch Mitglied bin, wird auch eine Stellungnahme veröffentlichen.
Salomé
Dein Artikel trifft den Nerv der Zeit!
Das gegenseitige Aburteilen der Menschen stört mich sehr und dass es Menschen gibt die mit dieser Art versuchen über den Dingen zu stehen.
Grüße aus München
Callboy Noah Danke
Eine kleine Horizonterweiterung für mich! Die von der Autorin vertretenen Ansichten über die Abolitionistinnen und über Prostitution waren mir bislang kaum präsent. So ist es gut, sie nun kennengelernt zu haben. Ich finde sie ziemlich überzeugend. Aber warum der letzte Satz des Artikels („Sie sind einfach nur rechts.“). Ich verstehe das als Einordnung ins politische Spektrum. Und so scheint es mir, als wäre dieser Stempel das Fazit des Artikels. Dabei hat er doch viel mehr zu bieten!
wieso überhaupt bestrarfen, wäre die erste frage, weiterhin, wenn, dann beide se8iten, die (freiwillige) anbieterinh genauso wie den freier: oder einfach akzeptieren, dass es gemäß angebot und nachfrage sexarbeit gibt
Liebe Salomé, Du hast den Punkt getroffen: Der Abolismus ist ein Faschsmus, der sich als Feminismus tarnt.
Beide Positionen finde ich einseitig. Nicht alle Prostituierten erleben tagtäglich extreme Gewalt und nicht alle Prostituierten bekommen ein paar hundert Euro für einen Kunden. Die Vereinfachung führt zu nichts. Die Komplexität muss verstanden werden, statt Armutsprostitution und High Class Escort gegeneinander auszuspilen.
Ich finde Huschke Maus Ansatz gut: Solidarität mit allen Prostituierten. Auf dieser Basis wird sich eine Lösung finden.
Wo ist die Solidarität mit jenen die tatsächlich Missbrauch in der Sexarbeit erfahren und dazu gezwungen werden? Ich denke der Schutz dieser ist wichtiger, als die Selbstverwirklichung der modernen Frau – das sage ich selbst als äußerst hedonistische Frau, die lange anderer Meinung war.
Liebe Frau Fichtner,
vielen Dank führ Ihre Nachfrage. Es ist ein Fehler, weibliche Selbstverwirklichung und Schutz vor Gewalt gegeneinander auszuspielen. Beides hat nämlich ein und dieselbe Voraussetzung: Es gibt keinen Feminismus ohne Selbstbestimmung. Sei diese nun hedonistisch motiviert, oder eine Frage der Existenz, so wie bei uns, die wir von diesem Beruf leben.
Die Solidarität mit den Opfern von Menschenhandel wird von SexarbeiterInnen immer verhältnismäßig stärker eingefordert als von anderen Branchen, in denen Menschenhandel grassiert, wie z.B. dem Baugewerbe, der Landwirtschaft oder dem Hotelgewerbe. Das liegt daran, dass die Tatsache, dass Frauen über ihre eigene Sexualität souverän verfügen, tratitionell dem Shaming und der Diffamierung ausgesetzt ist.
Natürlich sind wir solidarisch mit KollegInnen, die schlechtere Arbeitsbedingungen haben als wir – ob dies nun ein selbstgewähltes, kleineres Übel ist, oder wirklich Zwang, also illegal. Unsere Solidarität besteht außer dem Engagement in Netzwerken, dem Berufsverband der Öffentlichkeit für bessere Arbeitbedinungen vor allem in der Tatsache, dass wir legal arbeiten und zeigen, wie Sexarbeit mit menschlichen Antlitz möglich ist. Gerade unsere hohen Preise, die Sie so provozieren, sind ein Statement der Solidarität – wir zeigen, dass Sex eben mehr wert ist, auch wenn viele Männer sich darüber aufregen. Unsere AGB sind eine weitere „erzieherische Maßnahme“ der Kunden. Wir hoffen, dass sich dies nach unten weiter durchsetzt. Gegen die Armut und die daraus erwachsende Notlage können wir nur insofern etwas tun, dass wir nicht von den Sozialkassen leben, sondern uns das Geld lieber von den Besserverdienern holen – und unsererseits Steuern zahlen.