Wie ist das eigentlich, mit einer Sexarbeiterin in einer Beziehung zu sein?

 

 

Interview von und mit  Lola Strawinsky 

 

 

Find ich echt cool, aber ich könnte das nicht.

 

Kriege nicht nur ich oft zu hören, sondern auch mein Partner. Ja, richtig gelesen: Ich bin in einer Partnerschaft. Mit einem Mann. Oder, um es präziser auszudrücken für alle, die vielleicht noch verzweifelt versuchen, irgendeine Lücke zu finden: ein heterosexueller cis Mann, der auch eher mir zur Liebe einer offenen Beziehung zugestimmt hat. 

Ich bin also ein wandelnder Beweis, dass es möglich ist. Partnerschaft und Hure-sein schließt sich nicht aus. Oder Moment: Bereichert es die Beziehung sogar?

 

Wir sitzen auf dem Sofa unserer gemeinsamen Wohnung. Irgendwie in Decken versunken, die Beine ineinander verhakt, so wie man das macht wenn es kalt ist und man nicht aufstehen will. Natürlich ist das Interview anonymisiert. So wie ich Lola heisse, nenne ich meinen Partner mit einem Augenzwinkern „Cliff“. 

 

 

Interview

 

 

Lola:

Bist du aufgeregt?

 

Cliff:

Och es geht. Eigentlich bin ich eher gespannt.

 

Lola:

Was erwartest du denn für Fragen?

 

Cliff:

Hm. *lachen* Die erste Frage könnte lauten: wie ist es mit einer Sexarbeiterin zusammen zu sein.

*erneutes lachen*

 

Lola:

Ist es lustig oder warum lachst du jetzt?

 

Cliff:

Weil es sich ziemlich unspektakulär und normal anfühlt.

 

Lola:

Ja, ich find das ist so wie mit offenen Beziehungen: am Anfang denkt man, dass das was total Krasses ist und eine abgefahren wilde Zeit                 wird und dann passiert im Endeffekt doch nichts wirklich Spruchreifes.

 

Cliff:

Naja, vielleicht hätte ich die Frage anders beantwortet als wir uns grade kennen gelernt haben. Also die ersten Dates, da war ich schon sehr            aufgeregt und angespannt weil ich nicht wusste was das genau bedeutet. Ich wusste nicht, ob du verändert aus einem Date rauskommst.

 

Lola:

Ja sowas wie: Erkenne ich die Person dann noch, oder ist das die Person die ich kennen gelernt habe? Find ich die dann noch attraktiv?

 

Cliff:

Genau, also die Angst, dass eine andere intime Begegnung was mit unserer Partnerschaft, mit mir als deinem Partner macht, das war schon          da. Ich kannte das zumindest aus vorigen  Beziehungen, die eigentlich monogam waren und dann gab es doch mal Ausrutscher und das war          eher unschön. Deswegen war ich angespannt.

 

Lola:

Klar. Ist ja auch ein sexy Mysterium was da im Hotelzimmer passiert. Kannst du dich denn noch an mein erstes Date in unserer                                 Partnerschaft erinnern?

 

Cliff:

Ja ich glaube wir waren grade im Fitnessstudio und dann kamst du und hast gesagt: Ich muss dir ganz dringend was sagen, ich hab ne                  Dateanfrage für morgen Abend.

 

Lola:

Ja genau, das ist total aus mir rausgeplatzt und ich war so aufgeregt und hatte Angst vor deiner Reaktion. Man redet ja wochenlang                         theoretisch darüber und dann passiert es.

 

Cliff:

Aber ich hab mir schon Mühe gegeben, das irgendwie cool aufzunehmen um dir so ein bisschen ein gutes Gefühl zu geben.

 

Lola:

Haha- danke das war wirklich erleichternd. Ich hatte so Angst, dass du sowas sagst wie „Ok, mach das ruhig aber ich merke grade das geht           nicht für mich. Ciao.“

 

 

„Was machst du eigentlich, während ich mit anderen Sex habe?“ – „Ich koche!“   

 

 

Cliff:

Ich wusste auch nicht sicher, ob das für mich geht oder nicht. Aber wir haben das irgendwie beide hinbekommen und wir haben gesagt wir              bleiben davor und danach in Kontakt. Das war auch eine Sorge von mir, nicht nur, dass du mit einem anderen Sex hast oder was auch                    immer, sondern auch dieses- die Partnerin trifft einen wildfremden Menschen und man weiss ja eigentlich nichts über den. Und ich bin ja                  auch Fernsehgeschädigt und dann denk ich an all die Incels oder Zwangsprostituierten aus dem Tatort..

 

Lola:

Gut, dann hab ich dich ja eines besseren belehrt! Du musst noch sagen was du jetzt immer machst, wenn ich arbeite.

 

Cliff:

Ich koche.

*beide lachen*

Naja, während deiner ersten paar Dates hab ich mir den ein oder anderen Drink gegönnt, einfach aus Angst oder Überforderung. Aber jetzt:            koche ich. Oder räume die Spülmaschine aus. Oder gucke Fußball.

 

Lola:

Ha! Wie ein braver Ehemann! Am liebsten würd ich hier das Interview beenden, ich find das ist ein super Schlusssatz! Aber mich interessiert          noch: Was hat dazu geführt dass du dich dem Kochen widmen konntest, anstatt das Gefühl der Ohnmacht oder des Unwissens zu                          betäuben?

 

Cliff:

Die Erfahrung. Also, dass nichts passiert. Du gehst ja zur Arbeit, das ist, was man irgendwann begreift, und dass das auch was mit Spaß zu            tun hat. Das ist ja auch so ein Punkt.

 

Lola:

Tja, Arbeit darf auch Spaß machen.

 

Cliff:

Klar, aber wie gesagt, dass sind einfach Bilder im Kopf, die man über diese Arbeit hat. Und dann werden die nicht bestätigt weil du z.B.                    glücklich von der Arbeit kommst. Simple as it is. Das hat mich am Anfang manchmal irritiert, wenn du glücklich nachhause gekommen bist                und gesagt hast „Och das war jetzt ein schöner Abend.“ Ich hab mich selbst dabei erwischt wie ich gedacht habe: Die kommt doch grade von          ´nem Escort Date, wieso ist das denn schön. Aber mit der Zeit und vor allem den Gesprächen darüber habe ich eine andere Sichtweise                    bekommen und hab mich mehr wie ein „partner in crime“ gefühlt und das ist auch einfach sehr spannend- naja und ich hab gesehen, dass es          dir gut geht.

 

Lola:

Simple as it is.

 

 

 

Partner in crime

 

 

Cliff:

Und es ist auch nicht so, dass du jetzt eine verbrauchte Hure bist und dein Körper mir fremd ist oder sowas. Also ich find es eher inspirierend          wenn du zum Beispiel ein Dildo für irgendeinen Kunden, eine Kundin kaufst.

 

Lola:

Ja, das ist definitiv ein Benefit. Diese vielen unterschiedlichen Vorlieben, dieses Wissen, das ich mir angeeignet habe, einfach nur über die              Erfahrung und den Austausch mit meinen Hetären. Das ist eine absolute Bereicherung. Sex ist eben auch Technik und ich find ´s immer ganz          sexy wenn man eine Technik beherrscht.

 

Cliff:

Ich erinnere mich auch an ein paar Dates mit zwei Leuten, also mit Paaren. Du, der Typ und seine Freundin.

 

Lola:

Oh ja! Das sind die schönsten Dates!

 

Cliff:

Und das war auch auf einer Beziehungsebene interessant und inspirierend, weil es einfach gut tut andere Beziehungsmodelle zu sehen und            vor allem, wie gut es sein kann, Sexualität mal zu teilen. Also das Private zu öffnen.

 

Lola:

Ja, das hat mich auch total begeistert- die Schönheit eines Dreiers. Ich hab mich immer sehr geehrt gefühlt, wenn Paare mich gebucht haben. Aber du sagtest gerade: Das Private öffnen. Wie reagieren denn Leute drauf, wenn du sagst, dass deine Partnerin ne Hure ist?

 

Cliff:

*lacht* Egal wie weit man ausholt, meistens so: Wow, echt spannend, aber ich könnte das nicht. Da frag ich mich dann: was genau könntest             du nicht? Du musst ja gar nichts machen. Oder, Klassiker: Krass die verkauft ihren Körper?!

 

Lola:

*lacht* Oh mein Gott, ich bin aber noch hier! Ich check das immer nach jedem Date ob physisch noch alles dran ist und man mag es nicht               glauben: It is.

*beide lachen*

 

 

 

Weltenwechsel

 

 

Cliff:

Das ist echt Arbeit denen zu erklären, was das genau für ein Job ist und was das mit Selbstbestimmung zu tun hat. Wie ist das denn                        eigentlich bei dir? Wenn du von einem Date kommst und direkt nachhause, und da bin dann ich. Ist dir das nicht zu viel oder der                              Weltenwechsel zu schnell?

 

Lola:

Tatsächlich bin ich meistens dankbar für eine Dusche um selbst kurz zu mir zu finden. Und vor dem Date brauch ich meine Ruhe um mich zu           restaurieren *lacht*, das ist für mich schon Arbeitszeit eigentlich. Da war es mir zum Beispiel manchmal unangenehm, wenn du noch in                   meinem Zimmer warst.

 

Cliff:

Gibt es eigentlich auch Erfahrungen, die du mitnimmst, die du nicht gerne mit mir teilen möchtest? Grade weil ich dein Partner bin? Mal                    angenommen du hattest auf dem Date den besten Sex deines Lebens mit dem gutaussehendsten Mann den, die Welt zu bieten hat: würdest          du mir das sagen?

 

Lola:

Ich glaube sowas evaluiere ich eher mit meinen Freundinnen *lacht*. Weil – also für mich gibt es da nichts zu vergleichen. Und ja, klar kann             ich theoretisch ins Detail gehen aber für was? Meinen Freundinnen erzähle ich das ja weil Sharing is Caring, und mit der Erzählung lass ich             das Erlebte nochmal passieren zum Wohle aller!

*beide lachen*

 

Lola:

Und ausserdem darf man besonders bei diesen intimen Sachen nicht vergessen: Für mich ist Sex innerhalb einer Partnerschaft, mit                         jemandem den man liebt nicht vergleichbar mit Sex als Dienstleistung. Das ist aber keine Ab,- oder Aufwertung, es ist nur ganz einfach:                  Nicht zu vergleichen. Das einzige was ich sagen kann: Sexualität aus dem verschlossenen Privaten zu holen und zu öffnen, zu teilen und                ganz vielfältig zu denken kann nur bereichernd sein.

 

Cliff: Aber es ist Arbeit!

 

Lola und Cliff (in Echt nur halb synchron):

Und Arbeit kann auch Spass machen.

*beide lachen*