Die Rauhnächte. Rückzug und Dämonen

 

von Juliette Morrigán

 

Die Rauhnächte, die Tage zwischen den Jahren, ein Zeitraum, der aus der Zeit gefallen ist. Es ist eine Übergangszeit, die ich Zuhause besonders liebe. Ich drehe die Heizung auf, mache mir einen Kakao und zünde überall Kerzen an.

„Stell dir eine Kerze direkt am Fenster!“, sagt eine Freundin von mir. „Das lockt die Geister an, denn die Trennung zwischen der geistigen Welt und der materiellen Welt ist zu dieser Zeit hauchdünn und die Geister suchen die Verbindung zu uns.“

Der Begriff „Rauhnächte“ kommt vermutlich von rau (wild), von Rauch oder Räuchern und vom mittelhochdeutschen Wort rûch (haarig, pelzig). Letzteres bezieht sich auf behaarte Dämonen, die laut einigen Mythologien während der Rauhnächte zahlreich unterwegs sind. Nun weiß ich nicht, ob ich wirklich mit einer Kerze einen behaarten Dämonen nachts in mein Schlafzimmer locken möchte. Mir gefällt aber die Idee, dass aus der Differenz zwischen dem Sonnenjahr und dem Mondjahr, zwölf Nächte entstehen, die sozusagen „nicht existent“ sind, in denen die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt werden.

Trotz haarigen Dämonen und andere Geister, die „Ausgang haben“ und sich möglicherweise zu mir gesellen möchten, bleiben die Rauhnächte für mich eine Zeit der Einkehr, der Ruhe, des Winterschlafs. Mit einem Ritual bedanke ich mich zwölf Tage lang bei jeweils einem Monat aus dem vergangenen Jahr, lasse die bedeutsamen Momenten Revue passieren und sende meine Absichten und Wünsche in das neue Jahr hinein. Viele süße, intime und prickelnd-erotische Momente flackern in meinen Erinnerungen auf und wärmen meinen Körper und meine Gedanken – besondere Dates bei köstlichem Essen und gutem Wein sowie wilde, heiße Stunden im Hotelzimmer. Da liegt es nah, dass ich die Wiederkehr solcher Begegnungen als Wünsche ins neue Jahr sende. Denn trotz der Lust auf Einkehr, beflügeln die stillen, dunklen Nächten meine Fantasie und die Erinnerungen lösen ein wohliges Kribbeln in meinem Körper aus.

Der Übergang ins neue Jahr ist auch eine Zeit für neue Vorsätze. Ich habe immer viele gute Absichten – weniger Wein, mehr Schlaf, öfters joggen und tanzen, mehr Raum und Zeit für Kreativität und Schreiben, um nur ein paar zu nennen. Es ist aber wissenschaftlich bewiesen, dass zu viele Vorsätze die Willenskraft überfordern und damit schwächen. Und wenn es um Vergnügen und Sinnesfreuden geht, ist meine Wille besonders schwach; oder besonders stark – je nach Perspektive. Es gibt Menschen, denen es schwerfällt, sich Genuss zu erlauben. Dazu gehöre ich nicht. Ganz im Gegenteil; buhlen Genuss und Disziplin um meine Aufmerksamkeit, gewinnt fast immer der Genuss. Neue Vorsätze machen aber Spaß, solange ich ein Scheitern schamlos hinnehmen kann. Angeblich bevorzugt die Willenskraft zeitlich abgesteckte, gut erreichbare Ziele. Ich habe mich also zu zwölf Tagen Orgasmic Yoga verpflichtet. Einmal am Tag dreißig Minuten Selbstliebe der besonderen Art und eine beliebte Methode im somatischen Sexual Coaching.

Beim Orgasmic Yoga geht es darum, vertraute Muster loslassen und neue Zugänge zur eigenen Sinnlichkeit und Erotik zu finden. Weg von dem üblichen „Griff“ oder altbekannten Fantasien, die sich über viele Jahre bewährt haben. Stattdessen Neugier erwecken – auf Neues, auf Experimente, sinnliches Forschen, auf das Aktivieren von neuen erogenen Zonen und neuen neuronale Verknüpfungen. Ich werde also das neue Jahr weder mit wild-behaarten Geistern noch mit Verzicht oder Abstinenz einläuten, sondern mit der Absicht, mit Zeit und Ruhe, ganz bewusst, mich selbst zu lieben, jeden Tag auf eine neue Art und Weise.

Ich wünsche euch einen (be-)sinnlichen Start ins neue Jahr.