Hetären über Hetären

Ein Interview mit Tamara d´Aragona. Von Rahel Kaléko.

 

 

 

Liebe Tamara,

 

uns verbindet viel. Wir haben schon öfter stundenlange Gespräche geführt, in denen wir uns gegenseitig viel erzählt haben über unsere Vergangenheit, über unsere Gegenwart und über unsere Zukunft. Im Alltag schicken wir uns Lieder und kleine Gedanken. Ein bisschen sind wir wie Hetärenschwestern, wenn es sowas gibt! (Lacht) Momentan ist die Welt und alles, was wir daran lieben  sehr beschränkt… Bei diesem Hetärengespräch habe ich mich deswegen entschieden, möglichst viel  deinen langen Geschichten zu lauschen um mich selbst zu retten. Du warst für mich vom ersten Moment an ein tiefes Wesen.  Deswegen möchte ich dir mit scheinbar kleinen Fragen viel Raum geben. Willst du da einsteigen und bist bereit? Ich bin mir sicher, du weißt schon wie…

 

Tamara:

 

Ich bin sicher und bereit und freue mich darauf, und ich weiß auch, wie!

 

Rahel:

 

Sehr gut! Dann die erste oder eigentlich nun zweite Frage – beginnend mit einer fiktiven Behauptung: „Ein Instrument hat einen Körper und eine Seele.“ – Mich würde interessieren, welches Instrument und welchen Klang Du mit Dir verbindest?

 

Tamara:

Das ist einfach. Eine Violine! Wir haben viel gemeinsam, die Violine und ich. Um der Violine attraktive  Klänge zu entlocken, muss man lernen mit ihr umzugehen, und das tut man mit reichlich Geduld und wahrhaftiger Hingabe. Schließlich – ist man nicht geübt, entlockt man ihren zarten Saiten statt zauberhafter Klänge bloß eine ohrenbetäubende Kakophonie. Gleich der Violine, vertrage ich keine Ungeduld und despektierliches Verhalten. In einem solchen Falle verschließe ich mich meinem Gegenüber wie eine Auster.

Als kleines Mädchen versuchte ich als Violinistin. Da ich über ein ausgezeichnetes musikalisches Gehör verfügte, riet man meinen Eltern, mich zum Geigenunterricht anzumelden. Meine Eltern ließen sich nicht lange bitten. So bekam ich mein erstes Saiteninstrument: eine kleine Kindervioline, akkurat verpackt in einem kompakten dunkelblauem Geigenkoffer aus Büffelleder… Ich liebte diese Violine. Parallel zum Geigenunterricht bekam ich Klavierstunden. Derweil nach zwei Monaten Klavierspielen recht schnell einfache Melodien spielbar waren, schien es mir ausgeschlossen, nach vollen drei Monaten der Geige etwas Klangvolleres zu entlocken als eine für das menschliche Ohr unerträgliche Dissonanz eines leidenden Instruments. Laut den Erzählungen aus erster Hand, erklang aus meinem Kinderzimmer ein solch unerträgliches Gejammer, dass meine Familie nach drei Monaten stoischer Geduld ermunternden Nickens und artifiziellen Lächelns, ein einstimmiges Veto gegen die Suche nach meinem inneren Paganini einlegten. Seit diesem Tag in ferner Vergangenheit, haben meine Finger nie wieder einen Violinbogen berührt.

Keine Angst, es hinterließ keinerlei seelische Erschütterung! Ich behielt das Objekt meiner Begierde bei mir. Einer Trophäe gleich schmückte ihr schlanker Korpus viele Monde lang, hinter klarem Glas einer Vitrine, die Wand meines Schlafgemachs. Im Nachhinein betrachtet sehe ich den  Bruch mit der Geige, als die Conditio sine qua non für meine Liaison mit der Violine als Zuhörerin. Auch passive Liebe macht glücklich.

Der Klavierunterricht blieb noch zwei Jahre länger in meinem Leben als die Violine, wurde auf meinen ausdrücklichen Wunsch dann doch beendet. Ich sah mich als Tänzerin. Dieser Leidenschaft wollte ich mich vollständig widmen. Durch die Tanzausbildung im Ballettstudio wuchs meine Liebe zur klassischen Musik und der Geigenmusik im Speziellen. Diese große, sehnsuchtsvolle Liebe währt bis heute. Ich liebe den lyrischen Klang der vibrierenden Saiten unter dem eilig gleitendem Bogen. In meinem Hang zum Drama und gelebter Melancholie ist die Violine meine einfühlsame Geliebte. Im Alltag tanze ich gerne zu Klezmerklängen von Bei mir bist du schejn: meine liebste Version (und es gibt sehr viele) ist die mit der vordergründigen Violine.

 

Rahel:

 

Ich auch! Ich auch! Ich liebe dieses Lied! Es ist für mich wie eine Hymne!

 

Tamara:

 

Wie kann man sich nach dieser wunderschönen Liebeserklärung denn bitte nicht schön fühlen? Unmöglich.

 

Rahel:

 

Unmöglich, ja! (Lacht)

 

Tamara:

 

An regnerischen Tagen lausche ich  der Caprice No. 24 Paganinis in meisterhafter Ausführung Yehudi Menuhins. Beim Laufen durch den Stadtpark geben mir Nigel Kennedys Blue Note Sessions die nötige Kraft für eine extra Runde. Dieses Instrument deckt das ganze Spektrum meiner Launen und Sehnsüchte ab. Von abenteuerlich  bis zärtlich.

 

Rahel:

 

Ich wollte nichts sagen, aber ich habe 10 Jahre Klarinette gespielt und bin wie du tief auch mit Klezmer verwurzelt. Ich würde mir wünschen, wir würden mal ordentlich auf den Tischen tanzen zu Violine-, Klarinetten-, Akkordeon und allen möglichen Instrumenten und all unsern Schwestern. Nun, auf den Boden der Tatsachen und auf den Boden meines Lockdown-Zimmers: Ich male gerade ganz viel. Wenn ich Menschen male, benutze ich dafür eigens ausgesuchte Farben. Dich würde ich natürlich gerne nackt malen, liegend… oder zumindest halb-nackt. Welche Farben würde ich verwenden?

 

Tamara:

 

Ich favorisiere alle Facetten der Farbe Blau. Ganz besonders Aquamarinblau hat es mir angetan. Diese Farbe ist wie ein Kuss der aufgehenden Sonne über dem schlaftrunkenem Ozean. Sinnlichkeit pur. Wenn du mich malen würdest, wäre ich wahrscheinlich ein Konstrukt aus himmelblauen und weißen Pinselstrichen, umrissen von altrosafarbenen Pfingstrosenblüten, vor einem silbern-schwarzem Hintergrund aus uralten Felshöhlen.

 

Rahel:

 

Wow. Das kann ich mir gut vorstellen. Lass es uns verwirklichen! Auf deinen schon existierenden Bildern auf unserer Website ist mir etwas ganz besonders ins Auge gestochen: Die rosafarbenen Samt-Overknees. Was für eine Geschichte steckt hinter diesen Objekten?

 

Tamara d´Aragona

 

Tamara:

 

Ganz einfach. Ich habe eine große Schwäche für überkniehohe Stiefel auf hohem Absatz. Mindestens zwölf cm hoch sollten meine Schuhe sein. Man kann speziell diese Stiefel nur saisonal tragen. Ich genieße die wenigen Gelegenheiten. Diese Stiefel vermitteln mir das Gefühl eine Superheldin zu sein, wie in dem DC und Marvel Comics. Ich liebte immer schon American Fetish Art von Charles Guyette und Eric Stanton, dessen Bildbänder ich sammele. Durch enge Zusammenarbeit Eric Stantons mit dem Mitschöpfer der Spiderman-Graphicnovellen John Ditko, spürt Mensch den starken Einfluss seiner Kunst in den unabhängigen, dominanten Frauenfiguren der 50er Jahre Comics. Die sammele ich übrigens auch. Als Oberschülerin erschuf ich die Art von Frau, die ich sein wollte durch Zeichnungen. Jetzt, Jahre später, bin ich genau diese Frau! Die selbstbestimmte, hocherotische Frau in überhohen Stiefeln engen Stiftkleid und wadenlangen wehendem Trenchcoat.  Ich integriere meine Vorlieben für hohe Schuhe in meinen Alltag, mache den Superheldinnen-Look tragbar und elegant. Ich trage gerne helle und pastellfarbene Farben, Farben wie beige, rosa und baby-blau leben seit langem in meiner Garderobe. Vorwiegend Kleider, Röcke, Hosenanzüge. Es ist ein moderner heller Business-Look aus hautstreichelnden Naturmaterialien wie Kaschmir, Samt und Seide die verspielt meinen weiblichen Kurven schmeicheln. Eine moderne Catwoman im hellgrauen Trenchcoat und knielangem engen Etuikleid mit hochhackigen rosa samt  Overknees einer italienischen Luxusmarke. Superheldin im Einsatz.

 

 

 

Rahel:

 

I feel U so deep! (Lacht) Göttin! Ich schmachte! Ich habe die gleiche Intensität zu Stoffen und Farben und vermisse alles davon! Wir haben schon am Telefon geträumt wie wir zusammen mit unseren Absätzen, ich mit meinen Balenciagas mit Gummizug, du mit deinen heißen rosa Overknees, die Welt erobern, die Generationen nach Corona altersstufenweise befriedigen und von den 80-Jährigen im April bis ins neue Jahr hinein die Jungfrauen erreichen! (Lacht)

Notiz an mich: Diese Geschichte muss noch geschrieben werden! Ja… (Überlegt)

In der momentanen Zeit helfen mir Fiktionen zum Überleben im sinnesentleerten Alltag. Geht dir das auch so? Welche Fiktionen retten Dich?

 

Tamara:

 

Erotische Tanzkurzgeschichten. Ich suche mir ein Thema und Musik aus und gestalte davon ausgehend ein Kostüm, sowie eine improvisierte Choreografie. Inspiriert hat mich diesmal Sophia Loren. Ich sehe mir die letzten Wochen am laufenden Band ihre Filme an. Als letztes sah ich Gestern, Heute und Morgen mit ihr und Marcello Mastroianni in den Hauptrollen. Umwerfend! Die Striptease-Szene ist umwerfend. Sie habe ich schon oft nachgestellt, natürlich in Original Vintage Nylons. Versteht sich.

Und dann geht es ans Werk. Die Umsetzung. Bildlich gezeichnet. Stell dir mich mit ikonischem Katzenaugen-Liedstrich der Sophia Loren vor…

 

Rahel:

 

Oh ja, das tue ich…

 

Tamara:

 

….Im Hintergrund ertönt leise Fred Buscagliones Guarda Che Luna. Ich trage ein eng anliegendes Peignoir aus rosa Seide mit schillernder blauen Kontur auf nackter Haut mit hochgesteckten Locken. In strassbesetzten Riemchentanzschuhen bediene ich meine Nähmaschine, welche gerade ein mit hunderten von Rüschen übersätes Negligee aus schwarzem Chiffon zum Leben erweckt. Das ist bestimmt lustig, würde man als uneingeweihter Außenstehender diese Szenerie sehen!

 

Rahel:

 

Ja. Ich bin immer noch drin. Jetzt zoom ich rein. Es passt folgende Frage:

Welchem Körperteil von Dir schenkst Du besondere Beachtung?

 

Tamara:

 

Meine Armen und Händen. Ich benutze jeden Tag Handcreme und ohne Maniküre in Nude oder klassischem Rot wirst du mich äußerst selten antreffen. Die taktile Kommunikation ist mir sehr wichtig als erster Körperkontakt. Ich nehme vieles intensiv durch Berührung war. Und meine Hände sind der Kontaktzweig. Also verdienen Sie die gebührende Pflege. Außerdem gestikuliere Ich viel und gerne. Meine geschwungenen, sanften Bewegungen habe ich wohl dem Tanz entlehnt. Somit wird eine Unterhaltung mit mir wie eine kleine Aufführung, an meinen dezenten Armschwüngen und Handpositionen kann man meine Stimmung lesen.  Mir nahe kommen.

 

Rahel:

 

Wow! Ich will tausend Lieder für dich spielen Habibi!  Es war mir ein inneres Feuerwerk! Wir brauchen diese Fiktionen des Alltags gerade, und du performtest sie für mich und für uns und unserem Blog und dafür sag ich dir Danke! Und in unserem nächsten Hetärengespräch geht es um die Sci-Fi-SuperWoman-Entjungferungsgeschichte, ja?

 

Tamara:

 

(Lacht) Ja. So soll es geschehen….